Insekten sind eine immens wichtige Grundlage der Landwirtschaft, ohne sie gäbe es weder Äpfel noch Kirschen. Trotzdem geht das Sterben der Arten weiter: Bei der Hälfte der 561 Wildbienenarten in Deutschland ist die Populationen rückgängig, auch Käfer, Heuschrecken und Schmetterlinge sind bedroht. Das geht aus dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten ersten Insektenatlas des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Heinrich-Böll-Stiftung hervor. Hauptgrund für das heimische Insektensterben, sagen die Experten: die intensive, industrialisierte Landwirtschaft mit großen, monotonen Feldern ohne Hecken oder Grüninseln. Dazu vernichten Kunstdünger und Pestizide Rückzugsgebiete von Nützlingen und fördern die Ausbreitung von Schädlingen – wenn sie die Insekten nicht gleich selbst töten.

Eine Blauschillersandbiene - Foto: BUND RLP
Eine Blauschillersandbiene – Foto: BUND RLP

„Insekten halten das ökologische System unseres Planeten am Laufen“, sagt die rheinland-pfälzische BUND-Vorsitzende Sabine Yacoub: Insekten bestäubten viele Obst- und Gemüsesorten, falle das weg, drohe bei Äpfeln, Kirschen, Pflaumen oder Gurken ein Ernterückgang von bis zu 90 Prozent. Allein in Rheinland-Pfalz gelten knapp die Hälfte der 420 Wildbienen sowie der über 1000 Großschmetterlingsarten als gefährdet, sagte Yacoub. Verschiedene Käferarten seien laut Roten Listen zu 30-40 Prozent gefährdet, Heuschrecken, Fangschrecken, Ohrwürmer und Schaben zu 23,5 Prozent. Die Bestäuberleistung von Insekten werde in der weltweiten Agrarwirtschaft mit 200 bis 600 Milliarden US-Dollar beziffert.

Faktoren für den Insektenschwund seien auch die Lichtverschmutzung etwa durch Straßenbeleuchtung und die anhaltende Versiegelung von Flächen durch Gewerbegebiete, Straßenbau und Neubaugebiete. Der Hauptverursacher für den massiven Insektenschwund sei aber die industriell betriebene Landwirtschaft mit ihren monotonen Ackerflächen und dem hohen Pestizideinsatz. „Der Insektenatlas zeigt: die Nummer eins in der Beeinträchtigung ist die Landwirtschaft“, betonte Yacoub im Gespräch mit Mainz&. Zwar habe Rheinland-Pfalz nicht die großen Agrarbetriebe wie der Norden oder Osten von Deutschlands. „Aber auch bei uns in Rheinland-Pfalz werden die Landwirtschaftsflächen immer größer, es gibt immer weniger Randstreifen und Feldwege“, sagte Yacoub.

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Spätestens seit 2017 wisse die Politik von dem Massensterben der geflügelten Helfer, warnt der BUND, doch getan werde viel zu wenig: „Wissenschaftler sind sich einig, wie gravierend das fortschreitende Insektensterben ist, doch politisch gehandelt wurde bisher kaum“, kritisierte der BUND-Bundesvorsitzende Olaf Bandt in Berlin. Die Vorschläge der Bundesregierung im Insekten-Aktionsprogramm reichten nicht aus. „Ohne einen Umbau der Landwirtschaft ist das Sterben von Schmetterlingen, Hummeln und Käfern nicht zu stoppen“, betonte Bandt. Die Agrarpolitik müsse die landwirtschaftlichen Betriebe unterstützen, weniger Pestizide einzusetzen, weniger Dünger auszubringen und mehr Lebensräume für Insekten zu schaffen. „Die Landwirtschaft muss beim Schutz der Insekten Teil der Lösung werden“, forderte Bandt. Es braucht deshalb mehr Beratung und andere Fördermittel, aber auch klare gesetzliche Vorgaben, beispielsweise in Schutzgebieten.

Grafik Artenrückgang bei Insektenarten. - Grafik aus dem Insektenatlas 2020 des BUND, Screenshot gik
Grafik Artenrückgang bei Insektenarten, rot bedeutet Rückgang der Art. – Grafik aus dem Insektenatlas 2020 des BUND, Screenshot gik

Noch immer sei in Naturschutzgebieten der Einsatz synthetischer Spritzmittel erlaubt, nannte Yacoub ein Beispiel, das müsse verboten werden. „Wir brauchen generell mehr Flächen, die mehrjährig blühen, mehr Büsche und Gehölze, gerade in Rheinhessen“, betonte sie. Nötig als Lebensraum für Insekten seien mehrjährig blühende Streifen, dazu mehr Büsche und Gehölze zwischen den Feldern. „Offene Bodenflächen, grasbewachsene Feldwege oder Totholz sind wichtige Brutflächen für Insekten und wichtige Wege zwischen Biotopen“, erklärt Yacoub. Hier könne auch jede einzelne Gemeinde auf ihren Flächen für Abhilfe sorgen. Öffentliches Geld müsse zum Schutz der Insekten eingesetzt werden, es brauche eine Strategie des Landes Rheinland-Pfalz zur Reduzierung von Pestiziden.

Die bisherige Politik- und Lösungsunfähigkeit der Bundesregierung polarisiere derzeit die Gesellschaft zwischen Naturschützern und Landwirten, warnte derweil in Berlin Bundeschef Bandt. Yacoub hat das ebenfalls erlebt: Bei einer Demonstration von Landwirten vor dem Landtag in Mainz seien Umweltschützer als „Ökofaschisten“ beschimpft worden, berichtete Yacoub, „ich fand das sehr irritierend.“ Die Demonstranten hätten stets behauptet, man wolle „mit der Gesellschaft sprechen“, stattdessen würden Naturschützer derart diffamiert. „Da stelle ich mir schon die Frage, wie ernst gemeint dann das Gesprächsangebot ist“, sagte Yacoub.

Den Feldern in Deutschland fehlen die Hecken und Blühstreifen, Insekten finden hier nur wenig Nahrung. - Foto: gik
Den Feldern in Deutschland fehlen die Hecken und Blühstreifen, Insekten finden hier nur wenig Nahrung. – Foto: gik

Miteinander reden, und vor allem gemeinsame Projekte zwischen Landwirten und Umweltschützern seien hingegen „dringend notwendig“, sagte Yacoub weiter. Der BUND Rheinhessen habe etwa im vergangenen Jahr das Projekt „Blühendes Rheinhessen“ gestartet, dabei werden gemeinsam mit Landwirten und Winzern Blühflächen und damit Lebensräume für Wildbienen geschaffen. Das Interesse der Bauern sei groß, betonte Yacoub. In diesem Jahr werde es deshalb zehn Pilotprojekte geben, fünf mit ökologisch wirtschaftenden und fünf mit konventionellen Landwirten. „Vor Ort gibt es viele Bauern, die merken, wir müssen was machen – die sind ja auch darauf angewiesen“, sagte Yacoub, ihr Bundeschef appellierte gar an die Landwirte, sie könnten zu „Helden des Insektenschutzes werden“.

Scharfe Kritik übt der Verband zugleich an dem Mercosur-Handelsabkommen zwischen Brasilien und der EU. „Weltweit treiben Monokulturen mit Energie- oder Futterpflanzen für unsere Massentierhaltung die Entwaldung, monotone Agrarwüsten und den Pestizideinsatz massiv voran“, kritisierte Barbara Unmüßig vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. So habe sich alleine in Argentinien der Pestizideinsatz seit den 1990er Jahren verzehnfacht. Ein großes Problem zudem: In der EU längst verbotene oder nicht mehr lizensierte Pestizide der großen Chemieunternehmen wie Bayer und BASF würden global weiterhin fast unbeschränkt gehandelt. „Mit dem Resultat, dass in Kenia fast 50 Prozent der Pestizide hochtoxisch für Bienen sind und in Brasilien über 30 Prozent“, warnte Unmüßig.

Grafik "Siegeszug der Ackergifte weltweit". - Grafik aus dem Insektenatlas 2020 des BUND, Screenshot gik
Grafik „Siegeszug der Ackergifte weltweit“. – Grafik aus dem Insektenatlas 2020 des BUND, Screenshot gik

„Wir müssen beim Insektenschutz auch unseren Lebensstil hinterfragen“, forderte Bandt deshalb: „Weniger Fleisch und Milch, dafür artgerecht gehalten und mit fairen Preisen für die Bauernhöfe, das wäre wichtig.“ Die im Einklang mit der Natur wirtschaftenden Landwirte brauchten ein einträgliches Auskommen. Stattdessen sehe das Mercosur-Abkommen eine Zollreduktion für Chemieprodukte vor, unter die auch Pestizide fielen. „Das Ziel noch mehr Pestizide in die artenreichsten Regionen der Welt zu exportieren verhöhnt alle nationalen Nachhaltigkeitsbemühungen“, kritisierte Bandt. Pestizide, die in Europa aufgrund ihrer gesundheitsschädlichen oder gravierenden ökologischen Wirkung nicht mehr zugelassen seien, dürften von deutschen Konzernen auch nicht länger in anderen Ländern vertrieben werden.

Von der Bundesregierung forderten BUND und Heinrich-Böll-Stiftung, die Weichen für eine europaweit nachhaltige und für Bauern existenzsichernde Agrarwirtschaft zu stellen. Zehn Prozent der Agrarfläche sollten beispielsweise für Hecken und Blühstreifen genutzt werden, um die Insektenvielfalt zu stärken. EU-Agrarmittel sollten in die Umstellung von konventioneller zu ökologischer Landwirtschaft fließen. „Von industrieller Landwirtschaft profitieren nur die großen Agrarkonzerne“, betonte Unmüßig, „auf der Strecke bleiben Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Konsumentinnen und Konsumenten und eben auch die Insekten.“

Info& auf Mainz&: Mehr zum Sterben der Insekten sowie dem Programm Blühendes Rheinhessen lest Ihr hier bei Mainz&. Was das Pestizid Glyphosat in der Natur anrichtet, könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen. Den gesamten Insektenatlas 2020 samt Pressemitteilung dazu findet Ihr hier im Internet.

 

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