Darf man in Zeiten von rechtem Terror Fastnacht feiern? Die Mainzer Narren würden sagen: man muss. Denn in Mainz bedeutet die Narrenzeit nicht nur Freude und ausgelassenes Feiern – in Mainz wird traditionell auch Politik und Gesellschaft der Narrenspiegel vorgehalten und gegeißelt, was schief läuft im Lande. „Humor ist Meenzer Lebensart, mit Herz und Toleranz gepaart“, lautet nicht umsonst das Fastnachtsmotto 2020, und die Narren beweisen auch in diesem Jahr erneut: Fastnacht ist weder eine politikfreie, noch eine haltungsfreie Zone. Im Gegenteil: Fünf politische Redner fährt das ZDF am Freitagabend bei „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ auf, alle fünf schreiben der AfD ins Stammbuch: Ihr seid Rechtspopulisten, Ihr seid eine Bedrohung der Demokratie – und wir werden dabei nicht schweigend zusehen.

Donnerndes Plädoyer für Freiheit und Demokratie: Obermessdiener Andreas Schmitt bei "Mainz bleibt Mainz" 2020. - Foto: gik
Donnerndes Plädoyer für Freiheit und Demokratie: Obermessdiener Andreas Schmitt bei „Mainz bleibt Mainz“ 2020. – Foto: gik

Es gab da diesen Moment am Mittwochabend in der Närrischen Generalprobe der Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“, als der Saal mitten im Vortrag des Redners geschlossen aufsprang und applaudierte. Die minutenlangen Ovationen galten Obermessdiener Andreas Schmitt, denn der hatte gerade in den Saal gedonnert: „Die Demokratie, die werden wir schützen, Eure rechte Gesinnung wird Euch nichts nützen. (…) Wir werden sie vor Euch beschützen, das ist erste Bürgerpflicht – Ihr nehmt uns die Freiheit nicht.“ Die Narren im Saal quittierten das mit donnerndem Applaus – es war nicht das einzige Mal: Den größten Beifall gab es den ganzen Abend über, wenn die Redner die Wiederkehr braunen Gedankengutes oder die rechten Machtspiele von Thüringen geißelten.

Die politische Rede des Narren ist von jeher das Markenzeichen der Mainzer Fastnacht, und wie schon in den Vorjahren, so schallt es auch in diesem Jahr in klaren Worten aus der Bütt: Donald Trump, Boris Johnson, AfD, Ihr seid Rechtspopulisten, Ihr seid eine Bedrohung der Demokratie – und wir werden dabei nicht schweigend zusehen. Die Ovationen für den Obermessdiener geschahen just zu den Stunden, als in Hanau ein rechtsextremer Rassist zehn Menschen in Shisha-Bars erschoss – im Saal des Kurfürstlichen Schlosses wusste das zu der Stunde noch niemand. Doch auch so gab es den lautesten Applaus immer dann, wenn die Redner neues rechtes Gedankengut geißelten. „Man muss nach 75 Jahren erfahren, dass Synagogen brennen und Hetze gegen Juden sprießt“, sagte da etwa der „Till“, und fügte hinzu: „Wehret den Anfängen, das macht Sinn, doch sind wir längst schon mitten drin.“

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Gibt seinen Abschied nach 25 Jahren auf der Reichstagskuppel: Friedrich Hofmann als "Till" - hier mit brauner Klobürste. - Foto: gik
Gibt seinen Abschied nach 25 Jahren auf der Reichstagskuppel: Friedrich Hofmann als „Till“ – hier mit brauner Klobürste. – Foto: gik

Friedrich Hofmann als Symbolfigur „Till“ beschert der Fernsehsendung gleich zu Beginn einen Gänsehautmoment. Nach 25 Jahren steigt der Narr im Eulenspiegel-Kostüm zum letzten Mal den Mächtigen aufs Reichstags-Dach und seziert mit seinen feinsinnigen, gereimten Versen das große Weltgeschehen. Vom „trans-finanziellen“ Olaf Scholz über Merzschen Frühlingsgefühle der CDU bis zum „Zombie aus der Downing Street“ bekommen alle ihr Fett weg. Besonders scharf geht der „Till“ mit US-Präsident Donald Trump ins Gericht: „Ein Irrer sitzt im Weißen Haus“, spricht der Till, und warnt: „Wahlkampfzweck, der heiligt schlicht, Kriegstreiberei als Mittel nicht.“ Auch die Grünen müssen sich ob „Ablassbriefe-Doppelmoral“ einiges anhören.

Besonders ausführlich aber widmet sich der „Till“ der AfD und ihrem Thüringer Frontmann Björn Höcke: „Wer Björn Höcke wählt, ist kein Protestwähler mehr, der wählt Faschisten, und sonst nix“, konstatiert der „Till“, und fügt hinzu: „Klobürste passt haargenau zu diesem Mann, denn es hängt stets was Braunes dran.“ Der Saal antwortet mit donnerndem Applaus und verneigt sich vor einem der Großen der gereimten Narrenrede. Am Ende legt der „Till“ den Narrenspiegel nieder, und der Saal verneigt sich vor einem der letzten großen Altmeister. „Mainz hat Dir unendlich viel zu verdanken, Dein Name ist untrennbar mit der Geschichte der Mainzer Fastnacht verbunden“, dankt Sitzungspräsident Andreas Schmitt: „Friedrich Hofmann, wir verneigen uns vor Dir.“

Hat erneut einen starken Vortrag im Streitwagen: Johannes Bersch als "Moguntia". - Foto: gik
Hat erneut einen starken Vortrag im Streitwagen: Johannes Bersch als „Moguntia“. – Foto: gik

Der Nachwuchs steht indes schon bereit: Zum zweiten Mal klettert Johannes Bersch als „Moguntia“ in die Bütt und hält eine höchst gelungene hintersinnige Jahresschau, die mit viel Wortwitz daherkommt. Mit ausgesprochen trockenem Humor seziert die Moguntia Baupleiten und SPD-Kandidatenkür, Andreas Scheuers Salamitaktibk bei der Maut und andere Wurstskandale, ebenso wie die jetzt anstehende Kanzlersuche der CDU: „Jens Spahn will auch Kanzlerin werden“, konstatiert die „Moguntia“, „Träumen ist erlaubt…“ Besonders scharf geht Bersch mit der Fridays for Future-Jugend ins Gericht: „Keine Generation vor Euch hatte so einen Konsum wie ihr“, mahnt er: „Eure Großeltern sind noch in den Klamotten ihrer Geschwister in die Schule gelaufen.“ Der Saal dankt es mit begeistertem Applaus.

Da hat Greta Thunberg natürlich ein Wörtchen mitzureden: Florian Sitte schafft es erneut, seine Parodie mit grandioser Mimik zum Leben zu erwecken, und schleudert dem Mainzer Publikum ein höchst närrisches „How dare You“ entgegen – mit allerlei ernsten Betrachtungen des Weltgeschehens. „Kinder an die Macht? Sie sehen ja an den USA wie das endet“, sagt Sitte über den „orangefarbenen Gruselkürbis im Weißen Haus.“ Und natürlich muss die „Greta“ allerlei Verbote fordern: Das Gläsergeklirr auf dem Mainzer Marktfrühstück kann bei der vorderpfälzische Reierente Tinnitus auslösen, und Hüpfburgen aus Plastik sind natürlich ebenfalls Tabu. Und immerhin kommt bei Sitte auch die Mainzer Lokalpolitik nicht ganz zu kurz: „Mainz ist sehr tierlieb“, das habe ja die OB-Wahl gezeigt, findet der närrische Beobachter: Dort bewarben sich ums höchste Amt der Stadt „ein falscher Hase, ein grüner Laubfrosch und ein besoffener Flamingo…“

Florian Sitte kommt in diesem Jahr als "Greta" zu "Mainz bleibt Mainz". - Foto: gik
Florian Sitte kommt in diesem Jahr als „Greta“ zu „Mainz bleibt Mainz“. – Foto: gik

Sitte endet aber natürlich, wie könnte es anders sein, mit dem Appell zur Rettung der Welt, das leitet dann perfekt über zu den Schnorreswacklern: Der junge Fastnachtschor kommt in diesem Jahr ja als Öko-Demonstranten daher und rockt wieder einmal mit seinen Hymnen den Saal. Schon ihr Weltrettungs-Song bringt so richtig Stimmung in den Saal, mit der Zugabe „I love Meenz am Rhoi“, zeigen die Schnorreswackler dann endgültig, wo der Rockhammer in Mainz hängt und werden so zum Aushängeschild der modernen Mainzer Fastnachtsmusikszene. Die muss ansonsten nämlich draußen bleiben – schade.

Musikalisch dürfen erstmals die Eisbären die Sitzung eröffnen, das tun sie ausgesprochen schwungvoll mit „Meenzer Bube, Meenzer Mädche“, doch leider auch ausgesprochen kurz . man hätte der Truppe deutlich mehr Sendezeit gegönnt, gerade auch für ihre tolle Gartenzwerge-Nummer in diesem Jahr. Ansonsten bleibt die Sparte Musik im klassischen Rahmen: Thomas Neger und seine Humbas präsentieren erneut ihr „Im Schatten des Doms“ – dieses Jahr allerdings wunderbar unterstützt vom Mainzer Domchor. Mal sehen, ob man am Freitag am Fernseher mehr von der Stimmengewalt des Knabenchors hören kann, als am Freitag im Saal, dann könnte das durchaus ein Gänsehaut-Moment werden. Einer der großen Nostalgie-Momente ist aber natürlich wieder einmal der Auftritt von Margit Sponheimer.

Margit Sponheimer in großer Abendrobe mit Männerballett der Prinzengarde bei "Mainz bleibt Mainz" 2020. - Foto: gik
Margit Sponheimer in großer Abendrobe mit Männerballett der Prinzengarde bei „Mainz bleibt Mainz“ 2020. – Foto: gik

Die Grande Dame der Mainzer Fastnacht kommt in diesem Jahr in großer glitzender Abendrobe und feiert mit alten und neuen Hits ihren 7 x 11. Geburtstag – zum Gratulieren steht das Männerballett der Prinzengarde Spalier. Große Showbilder zaubert am späten Abend das Ballett Fantasy auf die Bühne des Schlosses: Die Truppe vom TSV Schott hat „The greatest Showmann“ als Motto, und wirbelt mit viel Akrobatik und atemberaubenden Würfen zu Ohrwürmern wie „This is Me“ über die Schlossbühne – auch ein Statement für Diversität und Vielfalt. Das Ballett verabschiedet übrigens nicht Andreas Schmitt als Sitzungspräsident, sondern Bardo Frosch: Der Sitzungspräsident vom Karneval Club Kastel (KCK) darf in diesem Jahr die Vertretung für den Obermessdiener machen.

Unten auf der Bühne rollt direkt danach der „Nachtwächter“ seine Schriftrolle aus. Adi Guckelsberger telegene Figur braucht allerdings in diesem Jahr manches Mal recht lange, um auf den entscheidenden Reim zu kommen, das Publikum allerdings reimt gut gelaunt mit – in der Dynamik der Sitzung war das allerdings am Mittwoch eine Delle. Bleibt zu hoffen, dass dies kein Abschalt-Moment gerade bei jüngeren Zuschauern wird – danach kommt schließlich noch der Obermessdiener. Guckelsberger gehört zur Sparte Kokolores, die bedienen außerdem Jürgen Wiesmann mit seiner Fortsetzungs-Familien-Soap als „Ernst Lustig“, die so richtig erst versteht, wer die Auftritte der Vorjahre gesehen hat.

Sabine Pelz legt als "Chefhostess von Mainz" einen furiosen Auftritt hin. - Foto: gik
Sabine Pelz legt als „Chefhostess von Mainz“ einen furiosen Auftritt hin. – Foto: gik

Sabine Pelz legt als „Stadthostess“ erneut einen furiosen Auftritt hin und hat noch einmal ihre Performance-Seite gesteigert. Die einzige Frau in der Mainzer Bütt darf im tiefsten Mainzer Dialekt höchst närrisch dem Mainzer OB sowie der Nachbarstadt Wiesbaden die Leviten lesen und schwört das Saalpublikum höchst partnerschaftliche auf den Abend ein. „Wer so eine Chefhostess hat, braucht keine Feinde mehr“, konstatiert Sitzungspräsident Schmitt da trocken. Martin Heininger und Christian Schier kommen als Fastnachts-Influencer zur Abwechslung mal nicht am Ende, sondern ziemlich in der Mitte der Fernsehsitzung und strapazieren wie immer die Zwerchfelle im Saal.

Die markanten Momente aber setzen einfach die politischen Redner, das gilt auch für Lars Reichow als Nachrichtenmann: „Ich bin nur eine kleine Schelle an der Narrenkappe des Herrn“, sagt der, und haut dann der Katholischen Kirche ihr Festhalten am Zölibat sowie ihre Frauenfeindlichkeit derbe um die Ohren. Reichow widmet sich auch höchst ausführlich den „Trump and Circumstances“ in Great Britain und findet – wie immer – klare Worte zu Thüringen und der AfD: „Wie lange wollen wir der AfD noch zuschauen, wie sie unsere Demokratie demoliert“, fragt der Kabarettist. Doch es ist eben der „Obermessdiener“ alias Andreas Schmitt, der so richtig deutlich wird: Würde die AfD für jeden Toten des Holocaust eine Schweigeminute halten, „Ihr würdet 35 Jahre eure Gosche halten“, ruft Schmitt in den Saal, und klärt AfD-Chef Gauland und Konsorten auf: „Es war millionenfacher Völkermord, Ihr dunklen Wichte, und kein Vogelschiss in der deutschen Geschichte.“

Lars Reichow als Anchormann des Fastnachtsjournals bei "Mainz bleibt Mainz". - Foto: gik
Lars Reichow als Anchormann des Fastnachtsjournals bei „Mainz bleibt Mainz“. – Foto: gik

Da gibt es minutenlange Ovationen im Saal – die Mainzer AfD schrieb derweil bereits am Dienstag auf ihrer Facebookseite: Die bei „Mainz bleibt Mainz“ auftretenden politischen Redner „lassen in ihrer Anti-AfD-Hetze jegliches Maß und Anstand vermissen.“ Das habe „mit traditioneller Fastnacht nichts mehr zu tun“, die kritisiere nämlich die Obrigkeit oder die Regierenden. In demselben Post stellt die AfD dann Schmitt, Hofmann, Reichow und Sitte namentlich an den Pranger und ruft dazu auf, ihren Post zu teilen – weil alle vier kommunalpolitisch für unterschiedliche Parteien engagiert sind. Die Mainzer Fastnachts Genossenschaft kommentierte das umgehend: „Die politische Mainzer Fastnacht lässt sich doch nicht vorschreiben, wer durch den Kakao gezogen werden darf und wer nicht“, heißt es auf dem Facebook-Account: „Und auch das ist gut so!“ In Mainz würden jedem Politiker und jeglicher Partei der Spiegel vorgehalten, und wer dabei vorkomme, das sei ganz einfach: „Wer übermäßig negativ auffällt, bekommt auch übermäßig sein Fett weg“, betonten die Narren, und rufen dazu auf: „Jetzt wird erst recht geguckt. Mindestens zweimal!“

Der Obermessdiener verneigt sich im Übrigen auch noch vor seinem echten Bischof Peter Kohlgraf und orakelt: „Vielleicht wird er ja Chef der Bischofskonferenz“ – die tagt Anfang März auf der Suche nach einem neuen Chef in Mainz. Der Mainzer Oberhirte sei jedenfalls „der Bernie Sanders der Geistlichkeit“, findet der „Obermessdiener“ und schickt ein Stoßgebet zum Himmel: „Oh Herr, beende endlich das Zölibat“ – denn dann „hätt‘ der Herr Bischof Vater werden könne…“

Ungewöhnlich kämpferische Pose: Auch die Mainzer Hofsänger zeigen bei "Mainz bleibt Mainz" Haltung. - Foto: gik
Ungewöhnlich kämpferische Pose: Auch die Mainzer Hofsänger zeigen bei „Mainz bleibt Mainz“ Haltung. – Foto: gik

Knapp vier Stunden dauert die Fernsehsitzung am Freitagabend, die Morde von Hanau werden mit Sicherheit in den Vorträgen einen Widerhall finden. Es könnte eine Demonstration für Freiheit, Meinungsfreiheit und Demokratie werden, wie der „Till“ es sagte: „Drum hoffe ich, dass nie verdorrt, in Mainz das freie Narrenwort.“ Den versöhnlichen – und in diesem Jahr deutlich frischen – Schlusspunkt setzen wie gewohnt um Mitternacht die Mainzer Hofsänger mit ihren Fastnachtshymnen – und auch da geht es um die Toleranz im Humorgetümmel: In „Olé Fiesta“ tanzt schließlich ein Mexikaner mit seiner Mainzer Herzensdame gemeinsam durchs Leben – Mainzer Fastnacht zum Dank.

Info& auf Mainz&: Die Mainzer Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ wird am Freitagabend ab 20.15 Uhr live im ZDF ausgestrahlt. Es ist nicht das erste Mal, dass die AfD ein Problem mit der Narrenfreiheit hat – 2017 wollte der rheinland-pfälzische AfD-Chef gar die Bühne bei „Mainz bleibt Mainz“ stürmen, damals gab es heftige Angriffe bis hin zu Morddrohungen von rechten kreisen gegen Schmitt und andere politische Redner – mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&. Mehr zum freien Narrenwort gegen Rechts könnt Ihr in unserem Bericht zu Mainz bleibt Mainz 2017 nachlesen. Und hier noch das Programm von „Mainz bleibt Mainz 2020“ in der Reihenfolge des Auftretens der Akteure in Bildern…

 

 

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