Wenn heute Nachmittag der Revisionsausschuss der Stadt Mainz zusammentritt, dann hat der Ausschuss so einiges zu beraten. Auf der Tagesordnung steht der Revisionsbericht zu den verschwundenen Akten im Wirtschaftsdezernat, und dieser enthält durchaus brisante Passagen: Nach dem Bericht, der Mainz& exklusiv vorliegt, ließ der scheidende Dezernent Christopher Sitte (FDP) bewusst wichtige Daten „vor dem Zugriff von Frau Matz“ entziehen, da es sich „um sensibles Schriftgut aus der ‚Koalitionszeit‘ handele“ – so gibt es Sittes damalige persönliche Referentin in dem Bericht zu Protokoll. Dem „Zugriff“ der neuen Dezernentin entzogen wurden demnach Arbeitsverträge und Tantiemenverträge mit einzelnen Personen, Verträge zwischen einem privaten Unternehmen mit der Stadt Mainz sowie Daten aus Sittes Tätigkeit als Geschäftsführer der Zentralen Beteiligungsgesellschaft (ZBM) – Sittes Nachfolgerin Manuela Matz (CDU) war die Nachfolge auf diesem Posten verweigert worden.

Die Schränke in diesem Büro fand die neue Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU) bei ihrem Amtsantritt ebenso ausgeräumt vor, wie das Dezernatslaufwerk. – Foto: gik

Anfang Dezember 2018 hatte die überraschend zu Sittes Nachfolgerin gewählte CDU-Politikerin Manuela Matz bei ihrem Amtsantritt leere Schränke und ein leer geräumtes Laufwerk auf dem Computer des Wirtschaftsdezernats vorgefunden. Am 16. April legte die Stadt Mainz den lange erwarteten Revisionsbericht dazu vor, der Leiter des Revisionsamtes, Peter Huber, kam in der öffentlichen Pressekonferenz zu dem Schluss: „Es gibt keinen Anlass davon auszugehen, dass Relevantes vernichtet wurde.“ CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig, Leiter des städtischen Revisionsausschusses, hatte daran direkt Zweifel angemeldet: Es seien noch „eine ganze Reihe Fragen offen“, sagte Schönig, etwa zu der Frage, welche Unterlagen relevant seien und welche nicht.

Der Revisionsbericht, der Mainz& nun exklusiv vorliegt, lässt in der Tat Fragen an mehreren Stellen offen. Der Bericht stützt sich vorwiegend auf Interviews mit der damaligen persönlichen Referentin sowie den beiden Vorzimmerdamen Sittes, dazu wurde eine schriftliche Stellungnahme des früheren Dezernenten eingeholt. In der Rekonstruktion der Vorgänge stellt der Bericht fest: Die Papierakten wurden an zwei Terminen vernichtet. Für den 3. und den 7. Dezember wurde jeweils ein Container ins Dezernat bestellt, an beiden Tagen waren nur Sitte und seine Referentin anwesend, aber keine der beiden Vorzimmerdamen. Am 3. Dezember arbeiteten demnach Sitte und seine Referentin gemeinsam im Büro, am 7. Dezember nur seine Referentin. Die Vernichtung sei „durch sie selbst oder in Zusammenarbeit mit Herrn Sitte erfolgt“, gibt die Referentin laut Bericht zu Protokoll, und Sitte „habe selbst Unterlagen in den Container entsorgt.“

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Der Revsisionsbericht zu den verschwundenen Akten im Wirtschaftsdezernat liegt Mainz& nun exklusiv vor – und er wirft Fragen auf. – Foto: gik

Nach den Aussagen der damaligen Mitarbeiterinnen Sittes befanden sich in den verschwunden Papierunterlagen jedoch keineswegs nur Altunterlagen wie Stadtpläne oder alte Sitzungsprotokolle, sondern auch „beispielsweise der Arbeitsvertrag von Person Mustermann A“ mit einer Beteiligungsgesellschaft sowie von „Person Mustermann B und C“ mit weiteren Gesellschaften, ebenso Verträge zwischen einem privaten Unternehmen mit der Stadt Mainz.

Der Leiter des Revisionsamtes, Peter Huber, hatte bei der Vorlage des Berichtes betont, wichtige Originaldokumente seien der Stadt nicht verloren gegangen, doch offenbar sollten diese Dokumente den Augen der neuen Dezernentin entzogen werden. Welches Klima dabei herrschte, zeigen Aussagen aus dem damaligen Email-Verkehr, darin schreibt die damalige Referentin,  sie habe die Daten „vor dem Zugriff von Frau Matz verwahrt“. An anderer Stelle heißt es, „auf Anordnung von Herrn Sitte“ seien die Daten „vor dem Zugriff von Frau Matz ’sicher zu verwahren‘.“

Sitte und seine damalige Referentin betonen in dem Bericht immer wieder, es seien „keine dienstlichen“ oder „keine relevanten“ Akten der Stadt Mainz vernichtet worden – was aber als „relevant“ eingeschätzt wurde, bleibt im Ermessen der handelnden Personen. „Eine Wiederherstellung der Papierunterlagen ist nicht mehr möglich, da diese bereits (…) geschreddert wurden“, vermerkt der Revisionsbericht dazu. Das lässt Fragen offen: So könnten Daten vernichtet worden sein, die für Sitte und seine Vorgänger wichtig waren oder Einblicke in sensible Vorgänge gaben. Die Daten in den Ordnern des Wirtschaftsdezernates betrafen Vorgänge aus dem Liegenschaftsamt und dem Tiefbauamt, es waren Daten zu Vergabevorgängen enthalten sowie zu Kongresswesen und der städtischen Gesellschaft Gebäudewirtschaft Mainz.

Entsorgt wurden nach Aussagen der Mitarbeiter Unterlagen, die noch aus der Amtsperiode von Sittes Vorgänger Franz Ringhoffer (FDP) stammten, sogar Unterlagen aus der Zeit dessen Vorgängers Richard Patzke (FDP) seien dabei gewesen – die Unterlagen sollen unter anderem Beteiligungen der Stadt Mainz betreffen. Beide FDP-Vorgänger sind heute Geschäftsführer stadtnaher Gesellschaften, in einem Anonymen Brief vor einigen Wochen war die Rede von diversen Mauscheleien bei gerade diesen stadtnahen Gesellschaften – die Briefeschreiber hatten auch behauptet, bei der Aktenvernichtungsaktion seien sensible Daten zu genau solchen Vorgängen vernichtet worden.

Welche Akten ließ der damalige Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte (FDP) aus seinem Büro „dem Zugriff“ seiner Nachfolgerin entziehen? Der Revisionsbericht wirft dazu neue Fragen auf. – Foto: gik

Sittes Referentin gab zudem an, Sitte habe angeordnet seine „persönliche Daten“ löschen zu lassen. Doch unter diesen „privaten Daten“ seien auch „Unterlagen, betreffend seiner Funktion als Geschäftsführer der Zentralen Beteiligungsgesellschaft der Stadt Mainz“ gewesen. Als Begründung gab sie an, Sitte sei nicht als Wirtschaftsdezernent, sondern „als Mitglied der FDP“ bestellt worden. Tatsächlich war der neuen Dezernentin Matz die Nachfolge auf genau diesen Geschäftsführungsposten dieser zentralen städtischen Steuerungsgesellschaft verwehrt worden.

Für den „Schutz der persönlichen Daten“ verschob die Referentin zudem 5,6 Gigabyte Daten aus dem öffentlichen Laufwerk des Wirtschaftsdezernats auf ihr persönliches Laufwerk und entzog diese Daten damit dem Zugriff der neuen Dezernentin und ihrer Mitarbeiter. Das Recht auf den Schutz der eigenen Daten ist ein hohes Gut, dass Sitte Anspruch darauf hatte, seinen persönlichen Schriftverkehr und seine persönlichen Mails und Adressen zu sichern, ist unbestritten. Doch warum dafür praktisch das gesamte Dezernatslaufwerk verschoben werden musste, bleibt unklar – auf dem öffentlichen Laufwerk verblieben leidglich 200 Megabyte an Daten. Die Referentin betont wiederholt in dem Revisionsbericht, die Daten hätten aussortiert werden müssen, warum das nicht geschah, bleibt unklar.

Nach dem Amtsantritt von Manuela Matz versuchten die Vorzimmerdamen wiederholt, die Referentin zur Herausgabe der elektronischen Daten zu bewegen – diese aber weigerte sich laut Revisionsbericht vehement und mehrfach. Eine Woche lang versuchten die Vorzimmerdamen in teils heftigen Diskussionen – so der Bericht -, die Referentin zur Herausgabe zu bewegen, diese aber gab an, es handele sich „um sensibles Schriftgut“, das nur mit Zustimmung Sittes herausgegeben werden dürfen. Das wirft die Frage auf, welche hochsensiblen Daten vor dem Zugriff der neuen Dezernentin bewahrt werden sollten.

Der Leiter des Revisionsamtes der Stadt Mainz, Peter Huber (links) bei der öffentlichen Vorstellung des Revisionsberichtes zusammen mit OB Michael Ebling (SPD) und CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig. – Foto: gik

Kurios muten auch Vorgänge zur Wiederbeschaffung der Akten an: Erst am 12. Februar wurden Matz sowie der OB „von einem Geschäftsführer einer städtischen Beteiligung“ per Email darüber informiert, dass sich bei ihnen Ordner aus dem Wirtschaftsdezernat befänden, für die man gar nicht zuständig sei – dabei handele es sich um Verträge. Abgegeben worden waren die beiden Ordner am 5. Dezember 2018, warum das erst mehr als zwei Monate später auffiel, wird nicht erwähnt.

Lückenlos aufklären konnte die Revision der Stadt Mainz die Vorgänge somit jedenfalls nicht, auch weil die Recherche mehr als ein Vierteljahr in Anspruch nahm. So hatte der Leiter des Revisionsamtes zwar betont, es seien keine Emails nach außen mit Daten verschickt worden. Allerdings heißt es im Revisionsbericht etwa, das Email-Konto der Mitarbeiterin sei erst nach ihrer Zustimmung gesichtet worden – die Sichtung erfolgte Mitte März 2019, also gut ein Vierteljahr nach dem Ausräumen von Büro und Computer. Das Ergebnis: „Es waren keine Mails an private Personen erkennbar.“ Ob dabei auch eventuellen Löschvorgängen nachgegangen wurde, dazu äußert sich der Revisionsbericht nicht. Zu der Frage, ob womöglich Daten über eine externe Cloud verschoben wurde, heißt es in dem Bericht zudem: „Theoretisch wären zwar Möglichkeiten denkbar, aber es lagen auch hier keinerlei Anhaltspunkte vor.“

Info& auf Mainz&: Mehr zu den verschwundenen Akten lest Ihr hier bei Mainz&, was zu dem Revisionsbericht in der öffentlichen Pressekonferenz gesagt wurde, findet Ihr hier.

 

 

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