Wir haben ihn ja geliebt, den scheidenden Stadtschreiber Feridun Zaimoglu, den Wanderer zwischen den Welten. Doch seine Zeit ist vorbei – am Donnerstag wird sein Nachfolger feierlich in sein Amt eingeführt. Clemens Meyer ist der 32. Preisträger des Mainzer Stadtschreiberpreises, der 38-Jährige kommt aus Leipzig. Ossi, Wendekind, Unterschichts-naher Kulturpessimist – die Unterschiede könnten kaum größer sein. Doch aktuell sind Meyers Themen allemal, gerade jetzt, wo der Osten erklärungsbedürftig ist… Am Mittwoch hält Meyer seine Antrittslesung, am Donnerstag wird er offiziell ins Stadtschreiber-Amt eingeführt.

Stadtschreiber Clemens Meyer - Foto Gaby Gerster
Der neue Mainzer Stadtschreiber Clemens Meyer – Foto Gaby Gerster

Die literarische Karriere des aus Halle an der Saale gebürtigen DDR-Kindes Meyer ist noch nicht so richtig alt: 2006 veröffentlichte Meyer seinen Debütroman „Als wir träumten“, es wurde ein Überraschungserfolg. Darum geht es um die Nachwendezeit in der ehemaligen DDR, eine Zeit, die Meyer selbst als „Tanz auf den Trümmern“ bezeichnete – mit Kleinkriminalität, Alkohol, Drogen, Gewalt, Gefängnisaufenthalten und selbstorganisierten Technopartys.

Der Roman enthält starke autobiographische Züge, Meyer selbst durchlitt diese Zeit wohl ziemlich genau so. Er selbst wuchs im Arbeiterviertel Leipzig-Ost auf, sein Vater, ein Krankenpfleger, und seine Mutter, eine Heilerziehungspflegerin, nahmen ihn mit zu den Montagsdemonstrationen 1989 in Leipzig. Meyer studierte von 1998 bis 2003 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, musste zwischendurch aber mal zu einem Gefängnisaufenthalt eine Auszeit nehmen. Sein Studium finanzierte er mit Stipendien und mit der Arbeit als Möbelpacker, Gabelstapelfahrer und Wachmann. Meyer kultiviert ein gewisses Underdog-Image, ist am ganzen Körper tätowiert und liebt Galoppsport, Bier und Fußball.

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„Clemens Meyer kennt sich aus in den Abseiten unserer Gesellschaft“, hieß es in der Begründung der Jury zu seiner Berufung. „Präzise und einfühlsam“ erzähle er „von prekären Existenzen, Freundschaften am Abgrund, von Bier, Gewalt und Boxen, zart und traurig, kämpferisch und berührend.“ Zugleich sei Meyer „ein luzider Kenner der Literatur, ein souveräner Stilist.“ Die Neue Zürcher Zeitung bezeichnete ihn einmal als „Meister des Ungeschönten“.

Clemens Meyer 2011 - Foto Enno Seifried via Wikipedia
Vielschichtiger Literat mit Tatoos: Clemens Meyer 2011 – Foto: Enno Seifried via Wikipedia

Meyers Überraschungserfolg blieb keine Eintagsfliege: 2008 erschien der Kurzgeschichtenband „Die Nacht, die Lichter“, für den er den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt. Sein drittes Buch „Gewalten. Ein Tagebuch“ versammelte 2010 Erzählungen von Zockern, Losern, Barbesuchern, Amokläufern und Menschen in der Psychiatrie, in deren Abfolge sich das Jahr 2009 abbildet. Sei 2013er Roman „In Stein“ beschäftigt sich mit Sexarbeit, Zwangsprostitution und den wirtschaftlichen Verwicklungen und Skandalen der Leipziger Realität der 1990er Jahre beschäftigt.

Meyer war zudem als Gastdozent am Leipziger Literaturinstitut tätig und hatte 2015 die vielbeachtete Poetikdozentur an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main inne, die den Titel „Der Untergang der Äktschn GmbH“ trug. Meyer ist also ein wahrhaft zeitgenössischer Schriftsteller, wir sind gespannt, wie er mit den eher bodenständigen und eher bürgerlichen Mainzern und ihrer Weinkultur zurecht kommt 😉

Der Mainzer Stadtschreiberpreis ist mit 12.500 Euro dotiert. Sein Träger hat das recht, ein Jahr lang die Stadtschreiber-Wohnung im Mainzer Gutenberg-Museum zu nutzen. Idealerweise hält der Mainzer Stadtschreiber Lesungen in der Stadt und tritt mit den Mainzer in Dialog – Feridum Zaimoglu tat das in vorbildlicher Weise. Der Deutsch-Türke liebte Mainz und seine Weinstuben, dazu realisiert der Stadtschreiber gemeinsam mit dem ZDF ein Medienprojekt.

Info& auf Mainz&: Am Mittwoch, den 24. Februar 2016, hält Clemens Meyer um 19.30 Uhr im Vortragssaal des Gutenberg-Museums seine Antrittslesung. Eintritt frei, die Sitzplätze sind begrenzt. Die feierliche Einführung in sein Stadtschreiberamt erfolgt dann am Donnerstag, den 25. Februar um 15.30 Uhr in der Mainzer Staatskanzlei.

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