In Wiesbaden gehen Verantwortliche für die Planungen des geplanten Stadtteils Ostfeld offenbar massiv gegen Kritiker des Projektes vor. Am Dienstagabend wurden im Ortsbeirat Mainz-Kastel zwei Kritiker von einer Abstimmung über das Ostfeld kurzerhand ausgeschlossen. Die Begründung: Die beiden Ortsbeiratsmitglieder würden in Fort Biehler wohnen und seien deshalb befangen. Der Arbeitskreis Umwelt und Frieden (AUF), zu dessen Fraktion beide Betroffene gehören, spricht von einem „rechtlich fragwürdig und unverfroren“ Vorgehen des Ortsbeirats und einem „ungeheuerlichen Angriff auf demokratisch gewählte Bürgervertreter“ – der gleiche Vorgang droht nun am Donnerstag in der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung.

Der geplante neue Stadtteil Ostfeld/Kalkofe zwischen Wiesbaden Erbenheim und Fort Biehler. - Grafik: Stadt Wiesbande, SEG
Der geplante neue Stadtteil Ostfeld/Kalkofe zwischen Wiesbaden Erbenheim und Fort Biehler. – Grafik: Stadt Wiesbande, SEG

Der Ortsbeirat Mainz-Kastel sollte am Dienstagabend über die „Entwicklungssatzung zum städtebaulichen Entwicklungsbereich Ostfeld“ abstimmen, die Satzung soll den geplanten neuen Wiesbadener Stadtteil Ostfeld/Kalkofe auf den Weg bringen, am Donnerstag soll der Wiesbadener Stadtrat das Projekt ebenfalls beschließen. Die Stadt will auf dem Wiesbadener Ostfeld, einer 490 Hektar großen Grün- und Ackerlandfläche zwischen Wiesbaden-Erbenheim, der Bundesstraße B455 und der Deponie Dyckerhoffbruch einen neuen Stadtteil errichten.

An dem Projekt gibt es scharfe Kritik, vor allem aus Klimagründen: das Ostfeld ist das zweitwichtigste Kaltluftentstehungsgebiet der hessischen Landeshauptstadt und versorgt weite Bereiche rechts des Rheins mit Frischluft – auch die Stadt Mainz wäre direkt betroffen, da der Kaltluftstrom auch die Mainzer Neustadt und die Altstadt mit Frischluft versorgt. Eine Bürgerinitiative „Hände weg von Os/Ka“ kämpft deshalb gegen das Neubaugebiet, maßgebliche Sprecher: Sabine Maritzen, Frau des grünen Stadtverordneten Ronny Maritzen. Auch die Vorsitzende des Naturparks Cyperus, Irmi Jungels, ist Mitglied der Bürgerinitiative, der Naturpark liegt am Fuße des Hangs unterhalb von Fort Biehler. Auch der Vorstand des Cyperus befürchtet erhebliche negative Klimaauswirkungen durch eine Bebauung des Ostfelds.

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Der Grünen-Politiker und Mitglied der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung Ronny Maritzen. - Foto: Maritzen
Der Grünen-Politiker und Mitglied der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung Ronny Maritzen. – Foto: Maritzen

Maritzen und Jungels sind beide gewählte Mitglieder im Ortsbeirat Mainz-Kastel, sie gehören beide der AUF-Fraktion an – und beide wohnen in der Siedlung Fort Biehler, um die herum der neue Stadtteil entstehen soll. Und genau das wurde ihnen nun im Ortsbeirat zum Vorwurf gemacht: Jungels und Maritzen hätten beide am Dienstagabend weder an der Diskussion noch an der Abstimmung zu zwei Anträgen in Bezug auf das Ostfeld teilnehmen dürfen, sondern die Sitzung verlassen müssen, kritisiert die AUF in einer Pressemitteilung.

Der Grund: Der Ortsbeirat habe sich mit knapper Mehrheit der Sichtweise des Rechtsamtes der Stadt Wiesbaden vom 3. September 2020 angeschlossen, dass hier ein möglicher Interessenkonflikt der beiden Kommunalvertreter vorliege. Das Rechtsamt berufe sich dabei auf Paragraph 25 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO), der fragliche „Widerstreit der Interessen“ sei im Vorfeld Maritzen auch mitgeteilt worden – nicht aber Jungels.

Jungels habe von dem Vorwurf erst am Vortag durch einen Journalisten erfahren, kritisiert der AUF, in der Sitzung habe sie sich dann zu den Vorwürfen auch nicht äußern dürfen – eine von ihr vorbereitete Erklärung habe sie im Ortsbeirat nicht verlesen dürfen. Im Ortsbeirat stimmten dann acht der anwesenden 14 Ortsbeiratsvertreter für den Ausschluss von Maritzen, sieben für den Ausschluss von Jungels, darunter vor allem die SPD, Teile der CDU sowie ein FDP-Vertreter. Der neue Stadtteil Ostfeld geht maßgeblich auf den früheren SPD-Oberbürgermeister Sven Gerich zurück, der wegen einer massiven Affäre um Vorteilsnahmen im Amt und Vetternwirtschaft zurücktreten musste.

Luftansicht von Wiesbaden-Erbenheim mit der US-Airbase (unten) Richtung Westen über Fort Biehler und das Ostfeld Richtung Rhein mit Mainz. - Foto via Wikipedia von TA Düsseldorf
Luftansicht von Wiesbaden-Erbenheim mit der US-Airbase (unten) Richtung Westen über Fort Biehler und das Ostfeld Richtung Rhein mit Mainz. – Foto vieaWikipedia von TA Düsseldorf

Der AUF AKK kritisierte das Vorgehen am Mittwoch scharf: „Der gesamte Vorgang ist ein ungeheuerlicher Angriff auf demokratisch gewählte Bürgervertreter, aber auch auf den Ortsbeirat, der seiner Aufgabe als Interessenvertretung des Stadtteils so nicht mehr nachkommen kann“, kritisierte die AUF-Fraktion. Maritzen und Jungels gehörten bekanntermaßen zu den Kritikern des neuen Stadtteils, „es ist offensichtlich, dass einzig diese Gegnerschaft zum Bauvorhaben Ostfeld der Grund dafür ist, dass sie aus der Sitzung des Ortsbeirates ausgeschlossen wurden.“ Hier solle in umstrittenes Projekt „um jeden Preis durchgesetzt“ werden, es sei offensichtlich darum gegangen, eine überaus knappe Stimmenmehrheit für das Ostfeld sicher zu stellen.

Tatsächlich sieht der Paragraph 25,1 der HGO vor: „Niemand darf in haupt- oder ehrenamtlicher Tätigkeit in einer Angelegenheit beratend oder entscheidend mitwirken, wenn er durch die Entscheidung in der Angelegenheit einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann.“ Das kommt durchaus vor, etwa wenn Landwirte in Gremien sitzen, die über den Kauf oder Verkauf ihrer Grundstücke für öffentliche Bauvorhaben zu entscheiden haben, oder Kommunalvertreter selbst an Bauvorhaben mit ihren Firmen beteiligt sind. Auch kann es zu Interessenskonflikten kommen, wenn ein Politiker durch ein öffentliches Vorhaben eine deutlichen finanziellen Vorteil hätte – der Betroffene darf dann die Entscheidung nicht mit treffen.

Irmi Jungels mit Kollege Claus Heinacker im Cyperus Naturpark, der unterhalb des Ostfelds liegt. - Foto: gik
Irmi Jungels mit Kollege Claus Heinacker im Cyperus Naturpark, der unterhalb des Ostfelds liegt. – Foto: gik

So etwas liege in diesem Fall aber mitnichten vor, betont der AUF: Maritzen und Jungels wohnten am Fort Biehler, Jungels in einer einfachen Mietwohnung, Maritzen auf einem gepachteten Grundstück. Beide hätten weder Grundbesitz in dem fraglichen Gebiet, noch seien sie von möglichem Werteverlust oder Wertegewinn der dortigen Immobilien berührt, von einer Entscheidung pro oder contra Ostfeld hätten sie also keine finanziellen Vor- oder Nachteile zu erwarten. Die Hessische Gemeindeordnung spreche aber von einem „unmittelbaren Vor- oder Nachteil“, der für einen Interessenkonflikt vorliegen müsse – „wo soll der denn sein?“ fragt der AUF.

Würde dasselbe Argument auf andere Entscheidungen in den Gremien der Stadt angewendet, hätte das weitreichende Konsequenzen auf die politische Arbeit, kritisiert der AUF weiter: „Dürfen Stadtverordnete, die an der Strecke der geplanten City-Bahn wohnen, noch abstimmen? Dürfen Ortsbeiratsmitglieder noch über Einbahnstraßen abstimmen, wenn sie in der fraglichen Straße wohnen? Dürfen gewählte Vertreter noch über klimarelevante Projekte diskutieren – oder liegen da Interessenkonflikte vor, weil ihnen nachts vielleicht zu heiß ist?“ Die Konstruktion eines Interessenkonfliktes sei doch absurd, ein Ortsbeirat solle doch gerade die Interessen der Bürger des Stadtteils vertreten, in dem sie wohnten.

Die Siedlung Fort Biehler (vorne) mit dem Bereich Ostfeld dahinter, dort soll der neue Stadtteil entstehen. - Foto: Dirting
Die Siedlung Fort Biehler (vorne) mit dem Bereich Ostfeld dahinter, dort soll der neue Stadtteil entstehen. – Foto: Dirting

„Es ist nicht vorstellbar, dass der Ausschluss der beiden Beiratsmitglieder einer gerichtlichen Prüfung standhalten wird“, betont der AUF weiter, „dem Missbrauch der HGO wäre damit Tür und Tor geöffnet.“ Damit ließen sich „jederzeit missliebige Parlaments- und Gremienvertreter aus Beratungen und Abstimmungen entfernen“, warnt der AUF. Genau das aber drohe am Donnerstag im großen Stil: In der Stadtverordnetenversammlung solle Maritzen – immerhin der Vorsitzende des Umweltausschusses – ebenfalls von allen Abstimmungen zum Ostfeld ausgeschlossen werden – mit derselben Begründung eines angeblichen Interessenkonfliktes.

Der Ortsbeirat Mainz-Kastel stimmte nach dem Ausschluss von Maritzen und Jungels nur mit einer sehr knappen Mehrheit für die Entschließungssatzung des Ostfelds: Lediglich sechs der vierzehn anwesenden Vertreter hätten für den neuen Stadtteil gestimmt, teilte der AUF mit. Gegen das Projekt hätten die zwei verbliebenen Mitglieder der AUF-Fraktion und ein fraktionsloses Mitglied (ehemals SPD) gestimmt. Zwei FDP-Vertreter und ein CDU-Vertreter hätten sich sehr kritisch geäußert und der Stimme enthalten – damit hätten sich de facto sechs Ortsbeirats-Vertreter gegen das Projekt Ostfeld positioniert. In einem zweiten Tagesordnungspunkt ging es auch um ein Lärmschutzgutachten wegen des benachbarten Flugplatzes Wiesbaden-Erbenheim – wegen des Fluglärms könnten ein Drittel des Baugebietes wegfallen, so ein privates Gutachten, mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&.

Der Grüne Ronny Maritzen (rechts) wurde schon bei seinem Kampf gegen die Fällung der Lesseallee auf der Maaraue scharf persönlich angegriffen. - Foto: gik
Der Grüne Ronny Maritzen (rechts) wurde schon bei seinem Kampf gegen die Fällung der Lesseallee auf der Maaraue scharf persönlich angegriffen. – Foto: gik

Vor allem die SPD habe offenbar eine Abstimmungsniederlage befürchtet, kritisiert der AUF: „Wer da auf Nummer Sicher gehen will, schaltet einfach zwei Gegenstimmen aus.“ Dass sich der Kasteler Ortsbeirat „in seiner Mehrheit dafür hat instrumentalisieren lassen, ist bedauerlich“, heißt es weiter. Das ganze Vorgehen, „kritische Parlamentarier rechtswidrig auszuschalten und dabei auch vor schwerwiegenden persönlichen Angriffen nicht zurückschrecken“, sei mit einer demokratischen Rechtsordnung  nicht zu vereinbaren.

Der AUF verwies damit auch darauf, dass sich speziell Maritzen wegen seiner Ostfeld-Kritik sei anderthalb Jahren massiven persönlichen Angriffen gegenüber sieht. Maritzen und Jungels würden sich nun gegen ihren Ausschluss juristisch zur Wehr setzen, heißt es weiter, dabei werde auch zu klären sein, „ob dieser rechtswidrig zustande gekommene Beschluss des Ortsbeirates wirksam ist.“

Info& auf Mainz&: Wir haben natürlich die Stadt Wiesbaden um Stellungnahme gebeten, für eine Antwort war das alles allerdings zu kurzfristig. Wir berichten trotzdem über diesen Vorgang, weil sich dasselbe Vorgehen in der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung zu wiederholen droht – und zwar schon am morgigen Donnerstag. Damit lässt sich unsere Berichterstattung nicht aufschieben, wir berichten aber natürlich über den weiteren Fortgang. Mehr zur Kritik am Ostfeld – auch von Maritzen – lest Ihr hier bei Mainz&, was der Cyperus Naturpark genau ist – der sich übrigens auf einem Mainzer Grundstück befindet -,  haben wir hier auf Mainz& aufgeschrieben. Mehr zur Kritik am Ostfeld, und warum das Vorhaben an Lärmschutzbestimmungen scheitern könnte, lest Ihr hier bei Mainz&.

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