Die Szenen waren verstörend: Menschen, eingepfercht in einem engen Tunnel, schreien und schieben, die panikartige Szene war einer der Schockmomente nach dem Polizeieinsatz in Ingelheim am 15. August. Wie aber kam die Situation überhaupt zustande? Der Einsatz sei „korrekt und richtig“ verlaufen, betont die Bundespolizei – und legt dafür nun Beweise vor: Danach löste eine aggressive Attacke von vermummten Demonstranten die Situation aus – die Demonstranten durchbrachen eine Polizeikette und stürmten in die Unterführung am Ingelheimer Bahnhof. Nur, dass die eben nicht leer war.

Verstörende Szenen beim Polizeieinsatz in Ingelheim am 15. August - für diesen Teil des Einsatzes war das Polizeipräsidium Mainz, und damit die Landespolizei zuständig. - Screenshot: gik
Verstörende Szenen beim Polizeieinsatz in Ingelheim am 15. August – für diesen Teil des Einsatzes war das Polizeipräsidium Mainz, und damit die Landespolizei zuständig. – Screenshot: gik

Der Polizeieinsatz von Ingelheim am 15. August wirft weiter hohe Wellen, nach dem Einsatz rund um eine rechte Kundgebung kam es zu heftigen Vorwürfen gegen die Polizei: Die habe in unverhältnismäßigem Ausmaß Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die Demonstranten eingesetzt, kritisierten zahlreiche Augenzeugen an den Tagen nach dem Einsatz. Am 15. August hatte die rechtsextreme Splitterpartei „Die Rechte“ eine Kundgebung in Ingelheim angemeldet, 24 Rechte wollten am Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß an dessen Todesumstände erinnern.

Dem rechten Aufmarsch wollten sich rund 400 Demonstranten aus einem breiten Spektrum von links bis bürgerliche Mitte entgegen stellen, doch der Polizeieinsatz gegen die Gegendemonstranten eskalierte: An einem Verkehrskreisel wurden rund 250 meist friedliche Demonstranten eingekesselt und stundenlang festgehalten, Beobachter berichten von massivem Polizeieinsatz mit Pfefferspray und Schlagstöcken auch gegen die bereits Eingekesselten. Zuständig hier: Die Mainzer Polizei, die dem Land Rheinland-Pfalz unterstellt ist. Hier wurde eine Ermittlungsgruppe eingesetzt, es laufen Ermittlungsverfahren gegen insgesamt sechs Beamte wegen Körperverletzung im Amt.

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Video über den Polizeieinsatz am Tunnel im Ingelheimer Bahnhof, diese beamten gehören zur Bundespolizei, sie trugen keine Helme und hatten keine Schlagstöcke im Einsatz. - Screenshot: gik
Video über den Polizeieinsatz am Tunnel im Ingelheimer Bahnhof, diese beamten gehören zur Bundespolizei, sie trugen keine Helme und hatten keine Schlagstöcke im Einsatz. – Screenshot: gik

Die zweite Szene, die an den Tagen danach die Gemüter erregte und für Kritik sorgte, war eine Szene in der Unterführung des Ingelheimer Bahnhofs. Hier gerieten ungefähr 150 mit dem Zug angekommene Demonstranten in eine prekäre Lage, als die Unterführung mit Menschen volllief, ein Video zeigt, wie Polizeibeamte den einen Ausgang absperren, ein Beamter benutzt dabei Pfefferspray gegen die Kette der Demonstranten. Diese berichteten, die Polizei habe auch den zweiten Ausgang dicht gemacht und sei von beiden Seiten auf die Gruppe der Demonstranten losgegangen – zuständig hier: die Bundespolizei.

Und die widerspricht nun vehement dieser Darstellung: „Das taktische Konzept war nicht, die Demonstranten da einzukesseln“, sagte der Sprecher der Bundespolizeidirektion Koblenz, Christian Altenhofen. Mainz& hatte diese Woche exklusiv die Möglichkeit, ein Video der Bundespolizei einzusehen und mit beteiligten Polizisten des Einsatzes zu sprechen, die Beweislage stellt sich danach sehr deutlich dar: Das Video der Bundespolizei zeigt, wie eine kleine Gruppe von etwa fünf bis sechs dunkel gekleideten und vermummten Personen von einem Treppenabgang aus gezielt einen Angriff gegen eine Gruppe Polizeibeamter startet, die den Zugang zu dem besagten Tunnel absperrten.

In dieser engen Unterführung gerieten rund 150 Demonstranten kurzzeitig in eine drangvolle Enge, weil sich zwei Gruppen begegneten. - Foto: gik
In dieser engen Unterführung gerieten rund 150 Demonstranten kurzzeitig in eine drangvolle Enge, weil sich zwei Gruppen begegneten. – Foto: gik

Das Einsatzkonzept habe vorgesehen, die rechten Demonstranten von den Gegendemonstranten strikt zu trennen, sagte Altenhofen im Gespräch mit Mainz&, die Bundespolizei war dabei für den Bereich des Bahnhofs zuständig. Die mit Zügen dort ankommenden Demonstranten seien zunächst in der großen Mehrheit völlig friedlich gewesen, berichtete Altenhofen weiter. Knapp 150 Bundespolizisten seien im Einsatz gewesen, die Demonstranten sollten von den Gleisen aus durch die Unterführungen zum Ausgang in Richtung Boehringer Ingelheim geleitet werden – weg von der rechten Kundgebung, die sich unmittelbar vor dem Bahnhof auf Stadtseite versammelte.

„Wir waren davon ausgegangen, dass das eine friedliche Demonstration wird“, betonte Altenhofen. Man habe durchgehend mit den Demonstranten kommuniziert, der Tunnel nach rechts Richtung Stadt wurde durch eine Kette Polizeibeamter abgesperrt. Die Beamten hätten dabei extra keine Helme getragen, und auch keine Schlagstöcke oder Pfefferspray griffbereit gehabt, das sei Teil der Deeskalationsstrategie gewesen, sagte Altenhofen weiter – das Video belegt diese Darstellung.

Demonstranten sind in der Unterführung zusammengepfercht. - Video: Aretmisclyde, Screenshot: gik
Demonstranten sind in der Unterführung zusammengepfercht. – Video: Aretmisclyde, Screenshot: gik

Auf dem Polizeivideo ist dann zu sehen, wie eine Gruppe schwarz gekleideter Demonstranten auf dem Treppenabgang innehält, sich formiert und dann gezielt auf diese Polizeikette losgeht. Mehrfach greift die Truppe die Polizeibeamten an, schiebt und drückt so lange, bis sie durchbricht – in den Tunnel hinein. Das Problem dabei: Die Unterführung war ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt nicht leer – den durchbrechenden Demonstranten kam eine große Gruppe Menschen entgegen.

„Wir waren das Kommunikationsteam“, sagt Oliver L. im Gespräch mit unserer Zeitung, der Bundespolizist möchte nicht mit vollem Namen genannt werden. Es gebe auch militante Linke, die Bundespolizisten gezielt ausspähten, berichten sie bei der Bundespolizei. „Wir haben am Gleis 4 mit den Ankommenden gesprochen und gesagt, geht nach links durch, da ist frei“, berichtet Oliver L.: „Unsere Einsatzkonzepte sind grundsätzlich immer auf Deeskalation ausgelegt.“

Er sei dann mit einer Gruppe von 60 bis 70 friedlichen Demonstranten die Treppe hinunter und nach links in den Tunnel gegangen – dort eskalierte die Lage: „Uns kam eine vermummte Truppe entgegen“, berichtet Oliver L., „wir wurden von denen einfach überrannt.“ Die Demonstranten hinter ihm hätten sich dann mit den Angreifern von vorne solidarisiert, gleich mehrere Bundespolizisten gerieten zwischen beide Gruppen. Gleichzeitig hatte die Bundespolizei aber schon den rückwärtigen Ausgang abgesperrt.

Treppenabgang von Gleis 4 am Ingelheimer Bahnhof, der linke Tunnel wurde zum Schauplatz der unguten Szene. - Foto: gik
Treppenabgang von Gleis 4 am Ingelheimer Bahnhof, der linke Tunnel wurde zum Schauplatz der unguten Szene. – Foto: gik

Das Ergebnis: Rund 150 Personen steckten in dem ausgesprochen engen Tunnel fest. Auf dem Video eines Demonstranten ist auch zu sehen, wie zwei Polizei-Schlagstöcke gegen die Decke des Tunnels geschlagen werden. Das seien Kollegen gewesen, berichtet Oliver L. im Gespräch mit Mainz&, „die haben gerufen ‚geht raus, geht raus‘, aber das war laut da drin ohne Ende.“

Weil die Demonstranten nun aber versuchten, auch zum Ausgang in Richtung Stadt durchzubrechen, habe die Bundespolizei dort einmal Pfefferspray eingesetzt, sagte Altenhofen weiter, und betonte: „Das war der einzige Pfeffersprayeinsatz von unserer Seite.“ Eine Bundespolizistin bekam davon ebenfalls etwas ab und wurde leicht verletzt – auch das zeigen im Netz kursierende Fotos -, ein zweiter Beamter verletzte sich am Handgelenk.

Die Szene im Tunnel habe sich dann relativ schnell aufgelöst, berichtet Oliver L. weiter, die Menge sei zum Ausgang Richtung Boehringer hin abgeflossen – und dieser Ausgang sei nie versperrt gewesen. 3.50 Minuten habe die ganze Szene gedauert, sagt Altenhofen, und betont: Von „Polizeigewalt“ gegen Demonstranten könne keine Rede sein, es werde auch gegen keine Beamten der Bundespolizei ermittelt. „Wir sind überzeugt, wir haben korrekt und richtig gehandelt“, betonte Altenhofen, „dass sich die Ereignisse so entwickeln, das konnte man nicht absehen.“

Zur Schilderung der Bundespolizei passen nun aber auch die Schilderungen der Demonstranten: Durch die sich einander begegnenden Gruppen, hinter denen sich eine Gruppe Polizeibeamter formierte, konnte der Eindruck entstehen, die Polizei habe den Tunnel von beiden Seiten verschlossen. Bei der Bundespolizei betont man nun durchaus glaubhaft: das sei nie der Fall gewesen, da man die Demonstranten ja in die Richtung Boehringer habe leiten wollen – was dann schließlich auch geschah. Zu der Darstellung passt auch, dass die meisten verletzten Demonstranten dann bei dem Einsatz am Verkehrskreisel verarztet werden mussten, wo Demosanitäter im Kessel im Einsatz waren – wieso die Situation dort so eskalierte, dass es zu mehr als 116 verletzten Personen kam, das muss nun das Mainzer Polizeipräsidium klären.

Info& auf Mainz&: Die Bundespolizei hatte bereits in einer ersten Stellungnahme die Vorwürfe zur Szene im Tunnel zurückgewiesen, wir haben hier darüber berichtet – und auch über die Fragen, die danach noch offen waren. Über die Vorwürfe nach dem Polizeieinsatz in Ingelheim haben wir ausführlich hier berichtet, dort findet Ihr auch weitere Informationen zu dem angesprochenen Video sowie Schilderungen von Demonstranten. Was das Polizeipräsidium Mainz bisher zu dem Einsatz am Ingelheimer Kreisel gesagt hat, könnt Ihr hier nachlesen.

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