„Tut mir Leid, hier geht keiner mehr rein, bitte nehmen Sie die nächste Bahn“, sagt die freundliche Dame an der Tür. “ Es war kein Reinkommen: Randvoll waren am Sonntag die Straßenbahnen auf den Lerchenberg, halb Mainz wollte die neue Mainzelbahn-Strecke unbedingt selbst testen. Am Samstag war die neue 9,2 Kilometer lange Strecke feierlich eröffnet worden – am Sonntag kam das Volk selbst zum Testen. „Klar fahren wir das heute ab“, sagte eine ganze Gruppe von Männern und Frauen. Die Mainzer Verkehrsbetriebe (MVG) setzten zusätzliche Züge ein, es nützte alles nichts: Die Bahnen wurden gestürmt, am Ende funktionierte kein Fahrplan mehr. Dazu kamen Kinderkrankheiten: Blockierende Türen, nicht funktionierende Ampeln und laut quietschende Gleise. Den Lakmustest gibt es ab morgen: Dann startet das neue Fahrplansystem in den Alltagstest.

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Rappelvolle Mainzelbahn auf dem Rückweg vom Lerchenberg voraus – Foto: gik

„Beeindruckend“, sagt ein Fahrgast in der Straßenbahn, „das geht da ganz schön steil rauf.“ In der Tat: Die neue Bahnstrecke auf den Mainzer Lerchenberg muss stellenweise ganz schöne Höhenunterschiede überwinden. Da ist die Brücke über die Autobahn A60, der Anstieg hinterm Marienborner Bahnhof oder die Brücke hin zum ZDF. „Toll, der Blick über Mainz“, sagt ein Fahrgast begeistert, als die Bahn langsam wieder bergab rollt. „So habe ich das noch nie gesehen“, lautet ein anderes Urteil. Tatsächlich bietet die neue Strecke ganz neue Aus- und Einblicke.

Ob es die Felder hinter der Fachhochschule Richtung Stadion sind, die Durchfahrt am Bretzenheimer Friedhof, die Strecke durch Bretzenheim oder die Fahrt an Marienborn vorbei hinauf auf den Lerchenberg ist: Die neue Straßenbahnlinie bietet eine Menge ungewohnter Perspektiven. An vielen Stellen sind weite Felder, Öffnungen oder gar Baugruben – man merkt: Die Mainzelbahn bietet Anlass für Erweiterungen und Neubauten. An vielen Stellen stehen zudem noch Bagger und Maschinen am Rande, im Umfeld muss noch fleißig gewerkelt werden, bis die Ränder der Mainzelbahn richtig fertig sind. Auch ist nicht jede Haltestelle fix und fertig. Überall aber stehen die neuen, beeindruckenden Haltestellen-Säulen mit Fahrplan und Informationen, schick sehen die aus.

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Beeindruckende Brücken der Mainzelbahn, hier die Brücke über die Autobahn in Marienborn – Foto: gik

Zweieinhalb Jahre, von Mai 2014 an, hatte die MVG an der neuen Strecke gebaut. Die führt nun vom Hauptbahnhof über 16 teils neue Stationen hinauf auf den Lerchenberg. Grund für die lange Linie, die ursprünglich eigentlich bis maximal Marienborn reichen sollte: Durch die längere Strecke konnte man Mittel des Bundes anzapfen, so wurde das knapp 90 Millionen Euro teure Projekt für die MVG erst finanzierbar. Die Kosten teilten sich so Bund, Land und MVG – die Stadt Mainz kam ohne einen Cent aus dem städtischen Etat in den Genuss eines um ein Drittel größeren Straßenbahnnetzes. Natürlich sind auch die Mainzer Verkehrsbetriebe eine Tochter der Stadt, doch Geld aus dem städtischen Haushalt für den Ausbau floss keines.

Entsprechend stolz und zufrieden waren die Stadtoberen bei der Einweihung am Samstag: „Diese Straßenbahn-Strecke wird den Öffentlichen Personennahverkehr deutlich nach vorne bringen“, sagte Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD). Und Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) zeigte sich gewiss, dass durch die neue Strecke mehr als eine Million Fahrgäste pro Jahr in Mainz zusätzlich auf Bus und Straßenbahn umsteigen werden. Die Mainzelbahn werde außerdem die Engpässe im ÖPNV zwischen dem Hauptbahnhof und der Universität deutlich entschärfen, dort seien bisher etwa 1.200 Busse täglich gefahren. Auch soll der Bahnhofsvorplatz durch mehr Direktfahrten entlastet werden.

Stadtwerke-Vorstand Detlev Höhne zeigte sich „froh darüber, dass die Mainzelbahn im Laufe der Jahre ein Projekt der Bürger geworden“ sei. Durch viel Information, Workshops und Bürgerbeteiligung sei nicht nur die Planung der neuen Straßenbahnverbindung besser geworden, viele Menschen hätten auch „das Gefühl bekommen, dass die Mainzelbahn ihre Straßenbahn ist und nicht ein von oben aufgestülptes Projekt.“ Ob dem so ist, wird sich allerdings erst noch zeigen. „Wenn man schon so lange mit den Bauarbeiten leben musste….“, grummelt eine Mainzerin in der Mainzelbahn. Jetzt wollen die Bretzenheimer auch sehen, was aus dem Projekt geworden ist und geben der Reporterin noch etwas mit auf den Weg: „Und schreiben Sie, dass die Busse total besch…. geworden sind!“ Die neue Linie entlang der Albert-Schweitzer-Straße fahre jetzt nämlich nur noch alle 30 Minuten statt vorher alle zehn….

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Neue Bahnsteige, schicke Infosäulen – aber die Brücke ist noch alt… – Foto: gik

„Wir fahren jetzt seit fast einer Stunde von Gonsenheim hierher“, erzählen die anderen Nachbarn in der Bahn. Sie wollen tatsächlich auf dem Lerchenberg jemanden besuchen, der Tag dafür ist nicht günstig gewählt: Die Bahnen sind bis zum Anschlag voll, das bringt eine Menge Verzögerung. An jeder Haltestelle gehen alle Türen auf – und minutenlang nicht wieder zu. Die Sensoren an den Türen sind so sensibel, dass permanent der Schließmechanismus streikt. Unser Bahnfahrer fährt irgendwann trotz Warnmeldungen im Cockpit los, mal streikt Tür 1, dann Tür 2. Auch wird der Fahrgast im Gedränge permanent gegen die Öffnungsknöpfe an den Haltestangen gedrängt – zack, geht die Tür wieder auf. 21 Minuten sollte die Fahrt vom Hauptbahnhof auf den Lerchenberg dauern, völlig utopisch an diesem Tag.

Dazu bleibt die Bahn auch auf freier Strecke öfter stehen. „Schon kaputt“, sagte einer ironisch. Schuld sind hingegen meist die Ampelschaltungen an den Kreuzungen: „Die Ampeln gehen überhaupt noch nicht“, erzählt ein Fahrer. Da springt die Fußgängerampel einfach nicht auf rot, queren Autofahrer die neue Trasse wild in allen Richtungen – trotz heranrauschender Bahn. Fester Halt empfiehlt sich unbedingt auf der Fahrt… an vielen Stellen ruckelt es noch gewaltig, manche Querung schiebt die Fahrgäste ordentlich zur Seite. Dazu quietschen die Räder in vielen Kurven lautstark, dass einem die Anwohner Leid tun können. Die Schmieranlage werde noch eingebaut, verrät uns ein Fahrer. „Schreiben Sie mal, dass die Bahn viel zu laute Grundlaufgeräusche hat“, sagt ein Fahrgast – in Basel könne man schon lange lautlose Straßenbahnen besichtigen.

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Am Stadion von Mainz 05 fährt die Mainzelbahn vorbei…. – Foto: gik

So ist das in Mainz: Projekte werden ausgesprochen kritisch unter die Lupe genommen. Nach so langer Bauzeit waren eben auch die Erwartungen hoch. Die modernen Bahnen sind schick und geräumig – nur eben an diesem Tag total überfüllt. „Tschühüss!“ winkt eine Mama an einer Haltestelle Mann und Kleinkind mit Kinderwagen zu. „Wir warten seit fünf Bahnen“, erzählt sie genervt, „wir fahren jetzt mal eine Station mit der Großen, damit die endlich mal Bahn fahren kann.“ Und so arbeitet sich die Mainzelbahn langsam und geduldig den Berg hinauf – in der doppelten Fahrzeit.

Oben angekommen macht der Fahrer eine Turbo-Zigarettenpause. „Ich fahre jetzt seit 9.00 Uhr heute morgen, ich hatte bisher nur 15 Minuten Pause“, erzählt er. Wir haben 16.30 Uhr, und der Fahrer hat mit seiner Bahn mittlerweile 54 Minuten Verspätung zum regulären Fahrplan. „Ich fahre gerne für sie“, bietet ein Fahrgast an – die Faszination Straßenbahn ist durchaus da. Das gilt besonders für die Fahrt bergab: In der anbrechenden Dämmerung funkelt die Stadt im Tal, eine Bahn kommt entgegen – „toll, was für ein Erlebnis“, schwärmt ein Gast.

Die Mainzelbahn – sie ist definitiv ein Erlebnis. Wie die Mainzer sie im Alltag annehmen werden, das wird nun die spannende Frage. „Das ist heute kostenlos?“ fragt ein Fahrgast verblüfft, „daran könnte ich mich gewöhnen…“ Die MVG wird zum 1. Januar 2017 ihre Fahrpreise um 1,9 Prozent anheben – Schuld sind Änderungen im Rhein-Main-Verkehrsverbund. Mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&. Bitte beachtet dabei: Damals hatte uns Geschäftsführer Jochen Erlhof noch eine Preisanhebung zum 11. Dezember angekündigt, tatsächlich erfolgt sie aber zum 1. Januar 2017. Das sei hiermit korrigiert.

Info& auf Mainz&: Den neuen Linienplan und den neuen Fahrplan der MVG Mainz, der seit dem 11. Dezember gilt, könnt Ihr Euch unter www.mvg-mainz.de ansehen. Der neue Fahrplan kann an allen Verkaufsstellen der Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG) gegen eine Schutzgebühr in Höhe von einem Euro erworben werden. Auch die Mini-Fahrpläne im Taschenformat sind bereits kostenfrei in der RMV-Mobilitäts-Beratung im Verkehrs Center Mainz erhältlich. Ausnahme ist hier jedoch die Straßenbahnlinie 59 (Zollhafen – Hochschule Mainz), die erst im Jahr 2017 in Betrieb gehen wird. Und natürlich haben wir wieder ein Video für Euch – von unserem Lieblingsstreckenstück zwischen Lerchenberg und Marienborn.

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