Am Samstag fand in Ingelheim bei Mainz eine Kundgebung der rechten Kleinstpartei „Die Rechte“ statt, die Partei wollte an Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß erinnern. Gegen den Aufmarsch der laut Polizeiangaben 24 Teilnehmer der rechten Kundgebung formierten sich nach Angaben der Polizei insgesamt drei Gegenkundgebungen mit rund 400 Teilnehmern. Nun gibt es heftige Vorwürfe gegen den Polizeieinsatz: Die Beamten seien mit unverhältnismäßiger Brutalität vorgegangen, Gegendemonstranten in einer Unterführung am Ingelheimer Bahnhof eingekesselt worden – das zeigt auch ein Video. Mehrfach habe die Polizei Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die eingekesselten Gruppen eingesetzt, 116 Demonstranten seien verletzt worden, kritisierten am Sonntag gleich mehrere Gruppen.

Friedliche Sitzblockade von Gegendemonstranten gegen einen Aufmarsch der Rechten in Ingelheim. - Quelle: SWR-Bericht, Screenshot: gik
Friedliche Sitzblockade von Gegendemonstranten gegen einen Aufmarsch der Rechten in Ingelheim. – Quelle: SWR-Bericht, Screenshot: gik

Die Stadt Ingelheim hatte versucht, den Aufmarsch der Rechten am Samstag zu verbieten, das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz genehmigte die Demonstration aber unter Auflafgen – unter anderem verbot das Gericht „das Abspielen und Singen glorifizierender Liedtexte“ über Rudolf Heß. Gegen die Kundgebung hatten mehrere linke Gruppierungen zu Gegendemonstrationen aufgerufen, unter anderem das Ingelheimer Bündnis gegen Rassismus und Gewalt sowie antifaschistische Gruppierungen.

Die Mainzer Polizei teilte am Sonntag mit, es sei bereits am Samstag gegen 14.10 Uhr bei der Ankunft von 150 bis 170 Personen im Bahnhof Ingelheim zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Die Demonstranten hätten „versucht, zu dem Aufstellort der Kundgebung der Rechten zu gelangen.“ Die Polizei habe dabei „kurzzeitig auch Schlagstock und Pfefferspray eingesetzte“, zwei Polizisten hätten dabei leichte Verletzungen erlitten. Die Demonstranten seien daraufhin zu ihrer Kundgebungsörtlichkeit, dem Kreisel am Ingelheimer Bahnhof, geleitet worden.

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Ein Polizeibeamter sprüht Pfefferspray auf eingekesselte Demonstranten. Das Foto ist ein Screenshot von Mainz& aus einem auf Twitter geteilten Video, die Quelle ist im Text verlinkt. - Screenshot: gik
Ein Polizeibeamter sprüht Pfefferspray auf eingekesselte Demonstranten. Das Foto ist ein Screenshot von Mainz& aus einem auf Twitter geteilten Video, die Quelle ist im Text verlinkt. – Screenshot: gik

An dieser Stelle hätten dann kurz darauf bis zu 200 Personen versucht, Polizeiabsperrungen zu durchbrechen oder zu umlaufen, um an die Versammlung und Aufzugsstrecke der Partei „Die Rechte“ zu gelangen. „Die Polizei verhinderte dies und setzte wiederum kurzzeitig Schlagstock und Pfefferspray ein“, heißt es in dem Polizeibericht weiter. In den Auseinandersetzungen habe es einen Flaschenwurf in Richtung der Polizeikräfte gegeben, auch sei versucht worden, eine Fahnenstange als Schlagwerkzeug einzusetzen. Weitere zwei Polizeibeamte seien in den Auseinandersetzungen leicht verletzt worden.

Die Polizeidirektion Mainz habe „bei extremen Witterungsbedingungen mit zeitweisem Starkregen, großer Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit, das Recht auf Versammlungsfreiheit gewährleistet“, betonte der Polizeibericht weiter. Im Einsatz seien rund 500 Einsatzkräfte aus Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und dem Saarland sowie von der Bundespolizei gewesen.

Der Darstellung widersprachen am Sonntag jedoch gleich mehrere Gruppen und Organisatoren der Gegendemonstranten. „Die Polizei hat gestern einen extrem aggressiven Kurs gegenüber den Antifaschisten auf der einzigen angemeldeten Kundgebung gefahren“, berichtete etwa die „Gutmenschliche Aktion“, eine Mainzer Gruppierung, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus engagiert, auf ihrer Facebookseite. Die Polizeikräfte hätten „mehrfach ohne Vorwarnung“ in die Menge hinein geknüppelt und mit Pfefferspray gesprüht, dazu auch Sanitäter bedroht und Material zerstört.

Ein Polizist sprüht Pfefferspray in eine in einer Unterführung am Ingelheimer Bahnhof eingekeilte Menge. - Das Foto ist ein Screenshot von Mainz& aus einem auf Twitter geteilten Video. - Screenshot: gik
Ein Polizist sprüht Pfefferspray in eine in einer Unterführung am Ingelheimer Bahnhof eingekeilte Menge. – Das Foto ist ein Screenshot von Mainz& aus einem auf Twitter geteilten Video, die Quelle ist im Text verlinkt. – Screenshot: gik

Eine große Gruppe Gegendemonstranten sei bereits im Tunnel des Ingelheimer Bahnhofs „durch ein Missverständnis gekesselt und gepfeffert“ worden, schreibt die Gruppe weiter, dabei seien mehrere Menschen durch Pfefferspray und Schlagstockeinsatz verletzt worden, mindestens eine Person habe genäht werden müssen. Ein auf Twitter verbreitetes Video zeigt eine große Gruppe Menschen, die in einer engen Unterführung von Polizisten festgehalten wird. In der Menge breitet sich offensichtlich Panik aus, viele schreien laut, Rufe „Lasst uns hier raus“ sind zu vernehmen. Angriffe gegen die Polizei zeigt das Video nicht. Zu sehen ist hingegen, wie ein Polizist mehrfach Pfefferspray direkt in die eingepferchte Menge sprüht, ein Anlass dafür ist nicht zu erkennen. „Ich werde diese Situation in dem Tunnel nie vergessen“, schreibt ein offensichtlich geschockter Twitterer.

Die Gutmenschliche Aktion berichtete, die Gegendemonstranten seien danach auf einem viel zu kleinen Raum eingekesselt und eingesperrt worden, ein Abstandhalten nach Coronavorschriften sei dabei nicht möglich gewesen. Gleichzeitig habe die Polizei „mehrfach versucht ‚gute‘ Demonstranten von ’schlechten‘ Demonstranten zu trennen“, so der Bericht weiter, dabei seien die Beamten mit hoher Aggressivität in die Menge gerannt, hätten den Schlagstock eingesetzt und dabei auch den Sanitätsstand überrannt.

Die Polizei berichtete dazu, da von der Gruppe der Gegendemonstranten „auch in der Folge weiterhin massive Störungen und Angriffe auf die Einsatzkräfte zu erwarten“ gewesen seien, habe die Polizei, „um dies zu verhindern und den unfriedlichen Personenanteil in der rund 300 Personen großen Gruppe der Gegenversammlung zu identifizieren“, den Versammlungsort zwischen 14.50 Uhr und etwa 16.20 Uhr umschließend abgesperrt. Den festgehaltenen Personen seien Möglichkeiten zur Versorgung und Toilettenbesuch geschaffen.

Ein Polizeibeamter sprüht Pfefferspray direkt auf einen Demonstranten, der mit dem Handy die Polizeikräfte filmt. Die gesamte Szene ist in einem auf Twitter geteilten Video zu sehen, die Quelle ist im Text verlinkt. - Screenshot: gik
Ein Polizeibeamter sprüht Pfefferspray direkt auf einen Demonstranten, der mit dem Handy die Polizeikräfte filmt. Die gesamte Szene ist in einem auf Twitter geteilten Video zu sehen, die Quelle ist im Text verlinkt. – Screenshot: gik

Auch dem widersprechen die Demonstranten: „Uns wurden Sanitäranlagen verwehrt, und schon anfangs durften die Versammlungsteilnehmer die Kundgebung nicht verlassen, um auf Toilette zu gehen“, berichteten zwei Organisatorinnen in einer Pressemitteilung. Auch sei zu Beginn den Teilnehmern verweigert worden, ihre Wasservorräte wieder aufzufüllen, Umstehende und Anwohner hätten die Eingekesselten mit Wasser versorgt. Erst später hätten Eingekesselte „in Begleitung der Polizei in den nebenan liegenden Büschen zur Toilette gehen“ dürfen, auf die Privatsphäre der Teilnehmenden sei dabei „keine Rücksicht genommen worden.“

Dazu sei die genehmigte, und mit Gittern abgesperrte Fläche für die rund 250 Personen  Fläche „viel zu klein“ gewesen, die notwendigen Corona-Abstandsregeln hätten deshalb kaum eingehalten werden können. Die Polizei habe zunächst den einzigen Zu- und Ausgang für alle Anwesenden versperrt, und dann „mit Pfefferspray auf einzelne Menschen und dann in die gesamte Menge“ gesprüht. „Noch dazu wurde mit Schlagstöcken und Fäusten wild in die Menge geschlagen, außerdem auch auf dem Boden liegende, nach Hilfe rufende Menschen“, kritisieren die beiden Organisatorinnen weiter.

Ein zweites Video auf Twitter zeigt diese Vorfälle, dort ist zu sehen, wie Polizisten mit Pfefferspray in die Menge hinter der Absperrung sprühen – von Angriffen auf die Polizisten ist dabei nichts zu sehen. Dabei wird auch ein sich friedlich verhaltender Mann, der die Szene mit dem Handy filmt, direkt frontal mit Pfefferspray besprüht. Demonstranten wehren sich daraufhin mit Regenschirmen, auch in Richtung der Polizeibeamten.

Bericht einer Sanitätsgruppe von der Demonstration in Ingelheim. - Screenshot: gik
Bericht einer Sanitätsgruppe von der Demonstration in Ingelheim. – Screenshot: gik

Die Vorfälle bestätigte auch ein vor Ort anwesendes Sanitätsteam: Die Polizeibeamten sei bereits kurz nach Ankunft der mit dem Zug angereisten Demonstranten gegen diese mit Pfefferspray vorgegangen, „um diese zur Kundgebung in der Nähe des Bahnhofs zu treiben und sie dort geschlossen über den ganzen Nachmittag festzusetzen“, berichtete die Sanitätsgruppe Süd-West e.V., eine ehrenamtliche Sanitätsgruppe, die bei Demonstrationen aber auch Kulturveranstaltungen für eine medizinische Versorgung zur Verfügung stehen. Auch in der Folge sei die Polizei mehrfach gegen die Eingekesselten mit Pfefferspray und Schlagstock vorgegangen.

„Dabei überrannte die Polizei auch eine deutlich erkennbare Verletztenablage des Sanitätsdienstes, trat medizinisches Material durch die Gegend und bedrohte unsere Sanitätskräfte mit dem Schlagstock“, berichtete die Gruppe weiter: „Auch wenn sich die Polizei ansonsten unseren Einsatzkräften gegenüber weitgehend kooperativ zeigte, kritisieren wir diesen Angriff auf uns aufs Schärfste.“

Insgesamt hätten die Sanitäter 116 Verletzte versorgen müssen, davon 90 Personen aufgrund des Einsatzes von Pfefferspray. 13 Patienten hätten chirurgisch behandelte werden müssen, eine Person internistisch. „Bemerkenswert ist die hohe Zahl von Panikattacken“, berichtet das Sanitätsteam weiter: Der Raum für die Demonstranten sei immer enger geworden, „die Brutalität der Polizeimaßnahmen trug zu Traumatisierungen bei, die von unserem Team für Psychosoziale Notfallversorgung behandelt werden mussten – insgesamt 12 Behandlungen“, berichtet die Gruppe weiter.

In der Mitteilung der Polizei ist von verletzten Gegendemonstranten keine Rede, hier hieß es lediglich, die 200 bis 250 Personen seien „zum Teil unfriedlich“ gewesen. Man habe sieben Straftaten gezählt, davon dreimal Widerstand gegen Polizeibeamte, zwei Beleidigungen, eine versuchte Körperverletzung und ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Der Aufzug der Partei „Die Rechte“ habe erst gegen 15.43 Uhr starten können und sei bereits wenige Meter später durch eine Sitzblockade von zehn Personen der linken Szene gestoppt worden. Die Polizei habe diese Demonstranten gewähren lassen, ebenso eine weitere, aus 25 Personen bestehende Sitzblockade einige hundert Meter weiter. Der Anmelder des Aufzugs der Rechten habe daraufhin entschieden, zum Startpunkt zurückzukehren und dort gegen 18.00 Uhr die Versammlung beendet. Zu Straftaten sei es es in diesem Zusammenhang nicht gekommen.

Zusammengepferchte Demonstranten in einer Unterführung am Ingelheimer Bahnhof. Das Foto ist eine Szene aus einem auf Twitter geteilten Video, die Quelle ist im Text verlinkt. - Screenshot: gik
Zusammengepferchte Demonstranten in einer Unterführung am Ingelheimer Bahnhof. Das Foto ist eine Szene aus einem auf Twitter geteilten Video, die Quelle ist im Text verlinkt. – Screenshot: gik

Derweil kritisieren weitere Mainzer in sozialen Netzwerken den Polizeieinsatz: Seine Tochter und sein Schwiegersohn seien bei der Gegendemonstration dabei gewesen, auch sie hätten berichtet, sie seien „auf engstem Raum zusammengepfercht und dann mit Tränengas und Schlagstöcken“ drangsaliert worden, berichtete ein Mainzer Hochschullehrer.  Es stelle sich doch „die Frage, wer einen solch ausufernden Einsatz geplant und angeordnet hat? Wer wird hierfür zur Verantwortung gezogen?“ Ein solches Vorgehen erschüttere das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Ordnungsmacht“, schreibt der Mann weiter.

Die Ludwigshafener Linken-Politikerin Irmgard Schuster forderte gar Innenminister Roger Lewentz (SPD) in einem Offenen Brief auf Facebook auf, sich des Vorfalls anzunehmen. Es sei ein fatales Zeichen, wenn der Eindruck entstehe, dass die Polizei „auf die Falschen draufhaut“ und nicht gegen Demonstrationen rechtsradikaler Neonazis vorgehe, sondern gegen engagierte Gegendemonstranten. „Da läuft doch etwas gründlich schief“, kritisierte Schuster: „Es muss doch möglich sein, dass die Polizei signalisiert, nicht die Neonazis, die Gegendemonstranten haben unsere Sympathie, denn sie kämpfen für unsere Demokratie.“

Info& auf Mainz&: Wir haben natürlich die Mainzer Polizei um Stellungnahme zu den Vorfällen gebeten, sobald wir Antwort erhalten, berichten wir natürlich. Alle unsere Quellen sind im Text verlinkt, die Pressemitteilung der Polizei findet Ihr hier im Internet.

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