Die Stadt Mainz will künftig schärfer gegen widerrechtliche Versammlungen, vorgetäuschte Scheinaktionen und Verletzungen von Hygieneregeln bei Versammlungen vorgehen. „Bei offenkundiger und willentlicher Missachtung grundlegender Prinzipien des Versammlungsrechts“ sowie den Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung würden die Behörden „künftig vor Ort weniger duldsam agieren“, kündigte Ordnungsdezernentin Manuela Matz (CDU) an. Hintergrund ist, dass auch in Mainz zunehmend sogenannte „Hygiene-Demos“ gegen eine angebliche „Corona-Diktatur“ stattfinden, die jedoch nicht angemeldet werden und alle Auflagen zu Hygieneschutz missachten. Vergangenen Samstag störten Teilnehmer eines solchen Aufmarsches eine regulär angekündigte Demonstration am Gutenbergplatz.

Auf dem Gutenbergplatz vor dem Mainzer Staatstheater kam es nun schon mehrfach zu Aufmärschen von Anhängern der Hygiene-Demos. - Foto: gik
Auf dem Gutenbergplatz vor dem Mainzer Staatstheater kam es nun schon mehrfach zu Aufmärschen von Anhängern der Hygiene-Demos. – Foto: gik

Die „Gutmenschliche Aktion Mainz“ hatte eine kleine Kundgebung am Gutenbergplatz im Gedenken an den 75. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai und der Befreiung Deutschlands von der nationalsozialistischen Herrschaft angemeldet, doch diese wurde von einer Gruppe unangemeldeter Demonstranten mit heftigem Pfeifkonzert erheblich gestört, wie ein Video auf der Facebookseite der „Gutmenschlichen Aktion“ zeigt. Dabei sei eine Rede so massiv gestört worden, dass sie abgebrochen werden musste, berichtet die linksgerichtete Gruppe, die sich stark gegen Antisemitismus und rechtsextreme Umtriebe engagiert. Auch eine Schweigeminute für gefallene alliierte Soldaten sei nicht respektiert, sondern gestört worden.

Die Störer ordneten die Veranstalter dem Spektrum der sich zunehmend formierenden sogenannten Widerstandsgegner zu, die die Gefährlichkeit der Cornoa-Pandemie leugnen, eine Diktatur des Staates wittern oder Verschwörungstheorien wie eine Übernahme durch den Microsoft-Gründer Bill Gates verbreiten, dessen Stiftung sich weltweit für die Erforschung von Krankheiten, für Bildung und gegen Armut einsetzt. An sogenannten „Hygiene-Demos“ nahmen vergangenes Wochenende in Berlin und Stuttgart und anderswo rechtsextreme Gruppierungen ebenso Teil wie Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und Esoteriker. Die Proteste werden zunehmend von offiziellen Vertretern von AfD, NPD, Identitären sowie von Verschwörungsraunern wie dem veganen Koch Attila Hildmann und dem Sänger Xavier Naidoo unterstützt. Immer wieder ist dabei auch von einer angeblichen Weltverschwörung von Juden die Rede – damit wird bei den Kundgebungen klar antisemitisches Gedankengut verbreitet.

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Corona-Leugner und Rechtsextreme vermischen sich zunehmend bei sogenannten "Hygiene-Demos." - Foto: RKIAuch in Mainz fanden nun bereits mehrfach solche Kundgebungen statt, zu denen getarnt als Spaziergänge in sozialen Netzwerken oder über Messengerdienste aufgerufen wird. Das will die Stadt Mainz nun nicht länger hinnehmen: In Messengerdiensten mehrfach vorab geschaltete Aufrufe zu „Versammlungen“ oder Spaziergängen ohne Einhaltung gültiger Normen und ohne jede Vorabstimmung mit den Behörden werde man in Mainz „nicht mehr ohne Weiteres dulden“, betonte der Leiter des Rechts- und Ordnungsamtes, Ulrich Helleberg, am Mittwoch. Das Problem sei dabei, dass einerseits gegen das Versammlungsrecht, aber auch gegen die Regeln der Corona-Verordnung zur Eindämmung der Pandemie verstoßen werde – die „Widerstands“-Demonstranten tragen in der Regel keinen Mund-Nasen-Schutz und weigern sich, den Mindestabstand einzuhalten.

„Als problematisch erwies sich zudem, das vor Ort kein erkennbarer Versammlungsleiter für die stattfindende Demonstration auszumachen war, mit dem wir diese Situation hätten besprechen und klären können“, sagte Helleberg. Gespräche mit einem Versammlungsleiter dienten „in keinster Weise“ dazu, Beschränkungen oder Einschränkung der Versammlungsfreiheit zu erlassen. „Im Gegenteil, es geht um deren Stärkung“, betonte Helleberg: Eine angemeldete Versammlung stehe unter dem besonderen Schutz der Ordnungsbehörden. So werde beispielsweise darauf geachtet, dass Störer ferngehalten würden und dass die Versammlung grundsätzlich auf dem angemeldeten Platz zu der angemeldeten Uhrzeit stattfinden könne.

Schon in der Vergangenheit versuchten rechte Gruppierungen wie hier "Kandel ist überall" in Mainz Fuß zu fassen - vergeblich. - Foto: gik
Schon in der Vergangenheit versuchten rechte Gruppierungen wie hier „Kandel ist überall“ in Mainz Fuß zu fassen – vergeblich. – Foto: gik

Natürlich gebe es auch Spielregeln, an die sich die Anmelder von Demonstrationen zu halten hätten, um die Versammlungsfreiheit im öffentlichen Raum zu ermöglichen, betonte Helleberg weiter. Die Versammlungsfreiheit sei ein hohes Gut und im Artikel 8 des Grundgesetzes explizit geschützt. Doch Versammlungen müssten auch 48 Stunden vorher angemeldet werden. Dabei müsse der Versammlungsort oder die Aufzugstrecke sowie ein Versammlungsleiter angegeben werden, der dann auch vor Ort Ansprechpartner der Polizei sei. „Es darf keine Versammlung ohne Versammlungsleiter geben“, betonte Helleberg.

Die Verletzung solcher Regeln werde die Stadt nicht länger dulden, kündigte Ordnungsdezernentin Manuela Matz (CDU) an: „Bei offenkundiger und willentlicher Missachtung grundlegender Prinzipien des Versammlungsrechts werden die Behörden künftig vor Ort weniger duldsam agieren“, sagte die Dezernentin am Mittwoch, und unterstrich: „Dabei wissen wir die Polizei an unserer Seite.“ Das gelte auch für selbst eingeräumte ‚Rechte‘, die Missachtung elementarer Grundsätze der Verfassung sowie des derzeit geltenden Rechts auf Grund der Coronabekämpfungsverordnung des Landes.

Zur Eindämmung der Corona-Pandemie und zur Vermeidung größerer Menschenmengen haben Bund und Land das Versammlungsrecht vor gut acht Wochen eingeschränkt, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Danach sind Veranstaltungen und Versammlungen grundsätzlich verboten – was nicht bedeutet, dass gar keine Kundgebungen mehr stattfinden dürfen: „Versammlungen unter freiem Himmel können – und werden – unter Auflagen von der Versammlungsbehörde genehmigt, wenn dies infektionsschutzrechtlich vertretbar ist“, betont die Stadt.

Stadt Mainz und Polizei wollen künftig stärker gegen rechtswidrige Kundgebungen vorgehen. - Foto: Grimminger
Stadt Mainz und Polizei wollen künftig stärker gegen rechtswidrige Kundgebungen vorgehen. – Foto: Grimminger

Derzeit werden in Mainz nur Versammlungen von wenigen Personen gleichzeitig genehmigt, vergangenen Samstag waren etwa 30 erlaubt. Die Zahl hänge stark vom Versammlungsort und der Art der Versammlung ab, die Teilnehmer müssen auch untereinander den Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten und Masken tragen. Personen mit Symptomen wie Husten, Fieber oder Atembeschwerden dürfen nicht teilnehmen, auch ist das Verteilen von Informationsmaterial nicht zulässig – auch das wurde wiederholt bei „Hygiene-Demos“ ignoriert.

Zur Einhaltung solch unabdingbarer Auflagen komme der Kommunikation mit dem Versammlungsleiter „eine essentielle und unverzichtbare Bedeutung zu“, betonte Helleberg weiter. Die unangemeldete Versammlung am 09. Mai habe diese Schutzmaßnahmen aber „vollständig ignoriert“. Zwar seien von der Anmeldepflicht „Spontanversammlungen“ zu einem aktuellen, nicht vorhersehbaren Anlass auch weiter möglich – ein Beispiel für so eine Spontanversammlung war in der Vergangenheit eine Trauerkundgebung nach dem Attentat auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015.

Veranstaltungen, die Tage vorher von den Initiatoren abgesprochen worden seien, etwa in sozialen Netzwerken, seien aber keine Spontanversammlungen, betonte Helleberg: „Es handelt sich hierbei um vorgetäuschte Spontanaktionen, die als absichtlich nicht angemeldete Versammlung zu behandeln sind.“ Um eine solche Versammlung „handelte es sich zweifelsfrei auch bei der Aktion jener Personengruppen, die sich am Samstag, 09. Mai 2020 ab 15.00 Uhr auf dem Gutenbergplatz versammelt haben.“

Innenminister Roger Lewentz mit Mundschutz und Plakat zu Abstand und Zusammenhalt. - Foto: gik
Innenminister Roger Lewentz mit Mundschutz und Plakat zu Abstand und Zusammenhalt. – Foto: gik

„Es gibt in unserer demokratischen Verfassung vielfältige Möglichkeiten, mit Versammlungen eigene Sichtweisen mit Nachdruck zu vertreten“, sagte Matz. Dies begleite und unterstütze die Stadt „stets gern, da das Versammlungsrecht eines der höchsten Güter in unserer Verfassung ist.“ Als Ordnungsbehörde der Landeshauptstadt Mainz werde man aber auch „bewusst widerrechtliche Auslegungen der Versammlungsfreiheit dauerhaft nicht hinnehmen.“

Kommenden Samstag dürfte das bereits zur Anwendung kommen: Das „Widerstands“-Bündnis ruft dann erneut zu Spaziergängen auf, in Mainz würde es dann wieder zum gleichen Zusammentreffen wie vergangenen Samstag kommen: Die „Gutmenschliche Aktion“ ruft für 16.30 Uhr zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus auf. „In Zeiten, in denen Verschwörungstheorien tausende Menschen auf die Straße treiben, sehen auch wir mit Erschrecken, dass Antisemitismus wieder mehr als hoffähig wird“, heißt es auf der Facebookseite, das dürfe niemand zulassen.

Auch der Bundesbeauftragte für den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, warnte am Mittwoch vor der zunehmenden Verbreitung von judenfeindlichen Verschwörungstheorien in der Corona-Krise: Er halte viele Protestkundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen für „hochgefährlich“, zitiert der „Stern“ ein Interview Kleins mit der Süddeutschen Zeitung.

Das Narrativ vom „bösen Juden“ werde seit Jahrhunderten immer wieder als Sündenbock missbraucht, nun werde „die gewaltige Krise von den (rechten) Verschwörungstheoretikern aufgenommen, um antisemitische Ressentiments zu verbreiten“, heißt es weiter: „Das macht uns Angst und Bange um unsere jüdischen Mitbürger*innen“, deshalb wolle man am Samstag „ein Zeichen gegen antisemitische Hetze“ setzen.

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Berichten und dem Kundgebungsaufruf der „Gutmenschlichen Aktion“ findet Ihr hier auf deren Facebookseite. Informationen zu den sogenannten Hygiene-Demos, ihren Organisationen und ihrem Umfeld findet Ihr unter anderem hier bei Wikipedia. Einen satirischen Sketch zum Thema Demonstrationen und Meinungsfreiheit in Deutschland, und wie Demonstrationen genehmigt werden, findet Ihr hier auf Youtube – das Satiremagazin Extra3 hatte das Thema 2017 schon mal aufbereitet. Die Bildungsstätte Anne Frank und die Amadeo Antonio-Stiftung veranstalten zudem am Freitag, 15. Mai, von 16.00 Uhr bis 17.00 Uhr einen Talk, bei dem sich zwei Experten aktuelle Verschwörungstheorien in der Coronakrise angesehen haben und bewerten, den Links dazu findet Ihr hier auf Facebook.

 

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