Die Affäre um die verschwundenen Akten im Mainzer Wirtschaftsdezernat ist noch immer nicht vollständig aufgeklärt, da wird sie durch eine neue Kuriosität bereichert: Vor zwei Wochen tauchte nach Angaben von Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU) eine umfangreiche Adressdatei ihres Vorgängers plötzlich wieder auf dem System des Dezernats auf. „Der Reiter heißt „Adressen Sitte“, auf den habe ich keinen Zugriff“, sagte Matz. Nach Angaben der Kommunalen Datenzentrale (KDZ) soll die Datenbank hingegen „bis heute durchgehend verfügbar“ gewesen sein, ab März 2019 sei sie „regelmäßig genutzt worden“. Der Vorgang wirft erhebliche Fragen auf – auch, weil der Vorgang im Revisionsbericht der Stadt zu den verschwundenen Akten nicht vorkommt. Dezernentin Matz sagte gegenüber Mainz&, es hätten Personen ohne ihre Erlaubnis Zugriff auf die Adressen gehabt.

Ein Totenkopf auf dem Bildschirm zeigt an: diese Daten wurden durch einen Erpresser gesperrt, kein Zugriff möglich. - Foto: gik
Zugang gesperrt – das erlebte die Mainzer Wirtschaftsdezernentin Matz nach ihren Angaben bis vor Kurzem mit einer Adressdatenbank ihres Vorgänger. – Foto: gik

Bei der fraglichen Datei handelt es sich nach Angaben der Stadt Mainz um eine Datenbank mit rund 1.800 Adressdaten, die Lotus-Notes-Datenbank sei dem Wirtschaftsdezernat zugeordnet und existiere „nach Wissen der KDZ bereits seit vielen Jahren“ – so die Pressestelle der Stadt in einer schriftlichen Antwort auf Mainz&-Anfrage. Die heutige Wirtschaftsdezernentin Matz hatte am 10. Dezember 2018 ihr Amt angetreten, und dabei ein ausgeräumtes Büro und eine geleerte Computerdatenbank vorgefunden: Ihr Vorgänger Christopher Sitte (FDP) hatte nach seinem überraschenden Verzicht auf eine Wiederwahl im November eine Mitarbeiterin angewiesen, seine persönlichen Daten zum Ende seiner Amtszeit zu löschen.

Die Mitarbeiterin zog daraufhin fast die gesamten Daten des Dezernatslaufwerks auf ihr persönliches Laufwerk bei der Stadt Mainz und entzog sie so dem Zugriff der neuen Dezernentin sowie deren Mitarbeiterinnen im Vorzimmer. So stellt es der Prüfbericht des Revsisionsamtes der Stadt Mainz fest. Auf dem Dezernatslaufwerk verblieben zum freien Zugang lediglich 200 Megabyte Daten, Matz hatte von Anfang an auch angemerkt, dass zu den verschwundenen Daten auch die komplette Adressdatei des Dezernats gehörte.

- Werbung -
Werben auf Mainz&
Der Prüfbericht des Revisionsamtes der Stadt Stadt Mainz zu den verschwundenen Akten im Wirtschaftsdezernat. - Foto: gik
Der Prüfbericht des Revisionsamtes der Stadt Stadt Mainz zu den verschwundenen Akten im Wirtschaftsdezernat äußert sich zur verschwundenen Adressdatenbank nicht – wo blieb die Datei bis Mai ab? – Foto: gik

Matz hatte von dem Vorgang Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) informiert, der die Prüfung in Auftrag gab – die Kommunale Datenzentrale wurde daraufhin als erste Sofortmaßnahme gebeten die nicht mehr vorhandenen Daten des Dezernatslaufwerks Q wieder herzustellen. Am 20. Dezember 2018 sei dann die jüngste zur Verfügung stehende Datensicherung ermittelt und der Datenbestand dieser Sicherungskopie auf das Dezernatslaufwerk eingespielt worden, heißt es im Revisionsbericht – der Datenbestand stammte vom 7. Dezember 2018.

Die SPD schimpfte daraufhin, aus „Sitte-Gate“ werde nun ein „Matz-Gate“: „Wie kann es sein, dass die IT-Expertin Matz nicht in der Lage ist, Adressdateien zu finden, die nun augenscheinlich die ganze Zeit über verfügbar waren und sogar verwendet wurden“, fragte der Mainzer SPD-Chef Marc Bleicher am Donnerstag, drei Tage vor der Kommunalwahl. Matz solle „lieber anfangen, für Mainz zu arbeiten, anstatt sich bemitleiden zu lassen ohne wirkliche Grundlage.“ Koalitionspartner FDP blies in das gleiche Horn: „Die verpatzte Übergabe der Amtsgeschäfte, bei der nun wirklich keiner der Beteiligten eine gute Figur abgegeben hat, muss nun endlich ein Ende finden“, forderte FDP-Chef David Dietz. Klar sei, dass es fixierte Regelungen zur Ämterübergabe geben müsse.  „Klar ist aber auch, dass die Wirtschaftsdezernentin nun endlich mit der Sacharbeit beginnen muss“, forderte Dietz, „alles andere nervt nur noch.“

Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz in ihrem Büro im Mianzer Rathaus. - Foto: gik
Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU) fand bei ihrem Amtsantritt am 10. Dezember 2018 ein leer geräumtes Büro und ein leer geräumtes Computerlaufwerk vor. – Foto: gik

„Ich habe am 9. Mai vom meinem Vorzimmer gemeldet bekommen, dass auf einmal wieder ein Zugriff auf eine Datenbank möglich ist mit dem Titel „Sitte Adressdaten““, sagte Matz auf Mainz&-Anfrage. Das sei am Spätnachmittag gewesen, sie habe dann am 10. Mai davon den Oberbürgermeister per Email informiert. Die Adressdatenbank sei nur auf dem Computer der Mitarbeiterin wieder aufgetaucht, betonte Matz: „Ich persönlich hatte und habe bis heute keinen Zugriff auf die Datenbank, sie wurde mir auf meinem Computer auch nicht angezeigt.“ Der Kalender des Dezernats sowie die Adressdatenbank im System Lotus Notes werde von den Mitarbeiterinnen im Vorzimmer geführt, dort sei „jetzt ein Reiter aufgetaucht, der heißt ‚Adressen Sitte'“, schildert Matz den Vorgang.

Sie sei „sehr erstaunt, dass die Daten doch noch da sind“, sagte Matz weiter: „Wir haben damals die Auskunft vom Leiter des Revisionsamtes bekommen, dass alle Daten von einem Lotus Notes Account vier Wochen nach Ausscheiden eines Mitarbeiters später gelöscht werden.“ Gernau so gibt es auch der Revisionsbericht selbst wieder: „Sämtliche Lotus Notes Daten werden bei Ausscheiden eines Mitarbeiters systemseitig gelöscht“, heißt es dort – zum  Zeitpunkt der Prüfung durch die Revision „war die Löschung des Lotus Notes Accounts von Herrn Sitte bereits vollzogen.“ Matz sagte, sie frage sich nun: „Ist jetzt plötzlich eine Berechtigung wieder gegeben, die vorher entzogen war?“

Die technischen Vorgänge im Mainzer Rathaus rund um den Dezernentenwechsel im vergangenen Dezember geben weiter Rätsel auf. – Foto: gik

Nach Angaben der Pressestelle der Stadt informierte Ebling am 13. Mai das Revisionsamt von dem Auftauchen der Adressdatenbank und gab eine technische Prüfung bei der Kommunalen Datenzentrale (KDZ) in Auftrag. Diese teilte Ebling am 15. Mai mit, die Datenbank sei „bis heute durchgehend verfügbar“ gewesen und sei „nicht nachträglich eingepflegt“ worden. Eine Verbindung zum gelöschten persönlichen Notes-Account von Herrn Sitte habe nicht bestanden. Auf die Datenbank sei im Dezember 2018 zugegriffen worden, seit März 2019 sei sie „regelmäßig genutzt“ worden.

Matz sagte auf Mainz&-Anfrage, der Zugriff im Dezember wäre am 10. Dezember erfolgt, also am Tag ihres Amtsantritts – danach habe es acht Zugriffe nach dem 19. März gegeben. Es müsse nun geklärt werden, wer diese Zugriffe getätigt habe, sagte Matz – weder sie noch ihr Vorzimmer hätten bis zum 9. Mai Zugriff auf die Datenbank gehabt. Ihre Mitarbeiterin habe zudem berichtet, es habe im März einen Computerabsturz bei ihr gegeben, die KDZ habe den Computer neu aufsetzen müssen. Dazu sei bei der Untersuchung jetzt herausgekommen, „dass Personen auf die Datenbank Zugriff hatten, von denen ich gar nichts wusste“, sagte Matz: „Ich hatte klar Anweisung gegeben, wer Zugriff haben darf und wer nicht.“

Laut Revisionsbericht wurden die neuen Regeln für die Rechtevergabe Anfang Januar 2019 bei der KDZ in Auftrag gegeben. „Diese Neuregelung beruhte auf der Festlegung von Frau Matz“, heißt es im bericht weiter. Dieses Vorgehen sei „notwendig gewesen“, weil in der alten Struktur Personen auch außerhalb des Wirtschaftsdezernats eine Berechtigung hatten, zumindest in Teilen auf die Daten des Dezernats zugreifen zu können. Die Frage der Adressdatenbank selbst wird im Revisionsbericht hingegen nirgends angesprochen – es bleibt die Frage, warum. Zudem bestätigt die KDZ, dass die rund 1.800 Adressen bis mindestens zum 19. März nicht genutzt wurden oder genutzt werden konnten – das sind rund drei Monate nach Amtsantritt Matz‘.

„Die Ampel versucht Häme zu streuen anstatt aufzuklären, und der OB erklärt die Angelegenheit Anfang April einfach selbständig für erledigt, bevor der Revisionsausschuss auch nur tagen konnte“, reagierte am Abend der unabhängige CDU-Oberbürgermeisterkandidat Nino Haase auf Facebook. Ob die Adressdaten „nun wirklich weg waren oder in dieser unübersichtlichen Situation übersehen wurden“ – mehr als 90 Prozent der Daten seien weggewesen, um Sittes Nachfolgerin den Amtsantritt zu erschweren. „Und die Ampel versucht nun ernsthaft den Schwarzen Peter Frau Matz zuzuschieben?!“, fragte Haase.

Info& auf Mainz&: Unseren ausführlichen Bericht über die Aussagen im Revisionsbericht zur Aktenvernichtung lest Ihr hier bei Mainz&.

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein