Die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar jährt sich in diesem Jahr zum 75. Mal, kurz vor dem Jahrestag lädt das Mainzer Staatstheater am kommenden Montag zu einem spannenden Diskussionsabend: „There is a Crack in Everything -Jüdisches Leben heute“ will einen nachdenklichen und offenen Dialog über Zusammenleben und neuen Antisemitismus führen. 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz sehen sich Juden in Deutschland wieder verstärkt antisemitischen Angriffen und Beleidigungen gegenüber – der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker warnte gerade: Entweder, es gelinge ein Zurückdrängen des Antisemitismus in allen Teilen Europas „oder der Judenhass droht, das gesellschaftliche Klima Europas noch weiter zu vergiften.“

Die neue Synagoge in Mainz mit den Säulen der zerstörten alten Mainzer Synagoge im Vordergrund. - Foto: gik
Die neue Synagoge in Mainz mit den Säulen der zerstörten alten Mainzer Synagoge im Vordergrund. – Foto: gik

Es war der Anschlag auf die Synagoge in Halle im vergangenen Jahr, der das Staatstheater Mainz dazu bewegte, in diesem Jahr eine eigene Veranstaltung auf die Beine zu stellen. In Halle hatte am 9. Oktober 2019 ein Rechtsextremist versucht, in die dortige Synagoge einzudringen mit dem Ziel, ein Massaker an den dort versammelten Juden zu begehen. Der Mann scheiterte an der Eingangstür und tötete stattdessen zwei unbeteiligte Passanten im Umfeld der Synagoge. Der Vorfall warf ein grelles Schlaglicht auf eine seit mehreren Jahren anhaltende Entwicklung: Menschen jüdischen Glaubens werden in Deutschland wieder offen beschimpft und attackiert.

Angriffe auf Männer, die eine jüdische Kippa tragen, Mobbing gegen jüdische Schüler, judenfeindliche Parolen auf Straßen und im Internet – „Antisemitismus ist ein Alltagsproblem“, sagte schon 2018 der rheinland-pfälzische CDU-Fraktionschef Christian Baldauf: Wer offen seinen jüdischen Glauben lebe, sei „fast täglich mit Anfeindungen konfrontiert.“ In Rheinland-Pfalz sind Übergriffe bisher zwar noch selten, doch auch hier wächst in den jüdischen Gemeinden ein Gefühl der Unsicherheit: „Wir sind erschreckt“, sagte die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Mainz, Anna Kischner, beim Besuch Baldaufs in der Mainzer Synagoge im Gespräch mit Mainz&. Auch in Mainz trauten sich Kinder nicht, sich in ihren Schulen offen als jüdisch zu bekennen.

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Bei Demonstrationen und vor allem im Internet werde Antisemitismus in einem vorher unbekannten Ausmaß wieder sichtbar, sagte Peter Waldmann vom Landesverband der jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz. Der Antisemitismus speise sich aus drei Quellen: „Es gibt den alten rechten Antisemitismus, den linken und den von Islamisten inspirierten.“ Waldmann ist nun auch Gast der Veranstaltung im Mainzer Staatstheater am kommenden Montag: Es geht dabei um den Alltag jüdischen Lebens heute, aber auch um Vergangenheit und Miteinander.

Die Debatte über "Jüdisches Leben heute" findet im Glashaus des Mainzer Staatstheaters statt. - Foto: Staatstheater Mainz
Die Debatte über „Jüdisches Leben heute“ findet im Glashaus des Mainzer Staatstheaters statt. – Foto: Staatstheater Mainz

Man habe „statt der üblichen Solidaritätsbekundungen in den sozialen Medien“ eine ganz analoge Veranstaltung geplant, und zwar gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Mainz, teilte das Staatstheater mit. Das Ziel: „Direkt miteinander darüber zu reden, ob und wie sich jüdisches Leben in Deutschland verändert hat, um über den Antisemitismus zu sprechen, der nie weg war und nun wieder erstarkt. Um mehr zu erfahren. Wie können vor dem Hintergrund der Shoah und angesichts wachsender Feindseligkeit und Brutalität im Netz und in der Wirklichkeit heute eine Auseinandersetzung mit jüdischem Leben funktionieren, in der wir es uns nicht mit Betroffenheitsfloskeln bequem machen?“

Auf dem Podium sind neben Peter Waldmann auch die Kölner Opernsängerin Dalia Schaechter vertreten sowie Samuel Hogarth, Kapellmeister am Staatstheater Mainz und ebenfalls jüdischen Glaubens. Die Veranstaltung ist überschrieben mit einem Zitat des legendären und 2016 verstorbenen Sangespoeten Leonard Cohen: „There is a Crack in Everything“ ist eine Zeile aus dem Song „Anthem“, Cohen legt damit den Fokus auf Hoffnung und Zukunftszuversicht. Aus den Brüchen der Vergangenheit strahlt ein neues Licht der Hoffnung, „that’s how the light gets in“, sagt Cohen weiter. „Die Brüchigkeit, Schönheit und Durchlässigkeit von Cohens Musik und Texten soll zu einem Gespräch miteinander inspirieren, das Zwischentöne zulässt und Dissonanzen aushält“, schreibt das Staatstheater, deshalb habe man die Diskussion unter dieses Zitate gestellt.

Cohen selbst war Jude und der Sohn einer langen Linie jüdischer Rabbiner, in seinen oft sehr politischen Lidern setzte er sich vielfach mit Demokratie und ihrer Bedrohung, mit Krieg, Hass, aber ebenso mit Religion, Liebe und Wandel auseinander. Die Musiker David Maier und Matthias Schärf werden an dem Montagabend Musik von Leonhard Cohen spielen. Just am selben Tag unterzeichnet die rheinland-pfälzische Landesregierung den Antrag, das jüdische Erbe der einstigen „Schum-Städte“ Speyer, Worms und Mainz ins Weltkulturerbe der Unesco aufzunehmen.

Info& auf Mainz&: „There is a Crack in Everything“, Diskussion über jüdisches Leben heute findet am Montag, den 13. Januar 2020 um 19.30 Uhr im Glashaus des Staatstheaters Mainz statt. Der Eintritt frei, Besucher benötigen aber Einlasskarten, weil die Besucherzahl begrenzt ist. Es moderiert Sylvia Fritzinger. Informationen dazu auf der Homepage des Staatstheaters Mainz, genau hier. Mehr zum Thema jüdisches Leben in Mainz findet Ihr hier bei Mainz&, mehr zu dem Thema Schum-Städte lest Ihr hier bei Mainz&.

 

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