Achtung&: Dieser Artikel stamm vom Mai 2019. Es war irgendwann 2018, als den Mombacher Hausbesitzern auf einmal Post ins Haus flatterte: Straßenausbaubeiträge, verursacht durch den Ausbau der Mombacher Hauptstraße. Die Hausbesitzer waren völlig überrascht und nicht wenig verwirrt: Warum sollten Sie jetzt auf einmal für den Ausbau einer Straße mitten in Mainz zahlen? Sie allein – und kein Gonsenheimer, Neustädter oder anderer Mainzer? Die Straßenausbaubeiträge sind seit Monaten in ganz Rheinland-Pfalz heftig umstritten, nun hat die Debatte auch Mainz erreicht: Mit dem Umbau von Boppstraße und Großer Langgasse kommt die Umlage auch auf Hausbesitzer in der Neustadt und der Innenstadt zu. Das System sei unübersichtlich und ungerecht, argumentiert die CDU – und fordert die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. Die FDP fordert dies auch – und stimmte doch im letzten Stadtrat gegen die Abschaffung.

Die Stadt Mainz baut die Große Langgasse aus – und legt Zweidrittel der Kosten auf die Bürger um. CDU und FDP fordern nun die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. – Foto: gik

Straßenausbaubeiträge sind im rheinland-pfälzischen Kommunalabgabengesetz vorgesehen, Kommunen im Land können damit die Kosten für den Ausbau einer Straße auf die Bürger umlegen – sie müssen es aber nicht tun. Das sei schon einmal die erste Ungerechtigkeit, findet der Hausbesitzerverband Haus und Grund, eine weitere: Der Hausbesitzer zahlen den Straßenbau über seine allgemeinen Steuern ja ohnehin schon, mit den Straßenausbaubeiträgen „zahlt er doppelt“, kritisiert der Vorsitzende von Haus und Grund, Manfred Leyendecker. Das sei „eine nicht mehr hinnehmbare Zusatzbelastung für Hausbesitzer“, die sich zudem auf Mieten auswirke.

In einer Gemeinde in Wörrstadt sei kürzlich einer Hausbesitzerin ein Gebührenbescheid von 50.000 Euro auf den Tisch geflattert, berichtete der Wirtschaftsjournalist Gerhard Hohmann am Montagabend auf einer Diskussion von Haus & Grund und dem Bund der Steuerzahler zum Thema Straßenausbaubeiträge. Der horrende Betrag sei binnen kürzester Zeit zu zahlen, Kosten für den Ausbau einer Straße. Zwar haben in Rheinland-Pfalz die Kommunen die Möglichkeit, statt einmaliger Beiträge wiederkehrende zu erheben, doch nicht jede Kommune tut das.

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Mombacher: Stadt zahlt 3,5 Prozent, der Bürger 65 Prozent

In Mainz werden zum Ausbau von Straßen sogenannte wiederkehrende Beiträge erhoben, dabei werden etwa Dreiviertel der Ausbaukosten auf die Hausbesitzer der Nachbarschaft umgelegt – in Mainz sind das ganze Stadtviertel. So flatterten in Mombach rund 2.800 Hausbesitzern auf einmal Gebührenbescheide für den Ausbau der Mombacher Hauptstraße ins Haus – weitgehend ohne Vorwarnung. 1,43 Millionen Euro lege die Stadt auf die Mombacher Bürger um, sagte der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Mombacher Bürger, Hans Pracht, im Gespräch mit Mainz&: Das seien pro Haushalt zwar nur zwischen 100 und 250 Euro, die Frage sei aber: warum?

Auch die Kosten für den kommenden Umbau der Boppstraße wird zu ca. 60 Prozent auf die Bürger umgelegt – wie viel auf Hausbesitzer zukommt, wissen sie bisher nicht. – Foto: gik

„Die Stadt zahlt nach Zuschüssen durch das Land gerade einmal 3,5 Prozent, die Bürger 65 Prozent“, rechnete Pracht vor, „das ist unlogisch und erzeugt Ärger.“ Derzeit fürchten Hausbesitzer der Mainzer Neustadt ähnliche Gebührenbescheide – und fragten sich, warum sie allein für die Neugestaltung der Boppstraße zahlen sollten, berichtet Neustadt-Ortsbeiratsmitglied Siggi Aubel (Linke): „Hätten wir als Neustadtrat gewusst, dass die Kosten auf Bürger umgelegt werden, wir hätten nicht zugestimmt.“ Zudem sei auch die Boppstraße eine Landesstraße, behauptete Aubel, warum also sollten hier die Mainzer zahlen?

„Unüberschaubar, unerklärbar, undefinierbar“, nennt denn auch der Mainzer CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig das Umlagesystem. Die Umverteilung der Kosten sei „nicht sauber und fair messbar“, Fakt sei doch: „Es verursacht ein großes Gefühl von Ungerechtigkeit, wenn man zahlen muss, andere aber nicht.“ Und das betreffe nicht nur die Frage der Abgrenzung innerhalb einer Stadt: Der Ausbau überörtlicher Straßen werde vom Land, und damit von der Allgemeinheit finanziert, die kleinen Straßen vor Ort sollten aber von Anliegern bezahlt werden – das sei nicht zu verstehen, kritisierte Schönig.

Würde die Kaiserstraße ausgebaut, würde diese Kosten das Land zahlen – die Kaiserstraße ist eine Landesstraße. – Foto: gik

In Mainz führe das etwa dazu, dass ein Ausbau der Kaiserstraße vom Land bezahlt würde, weil sie eine Landesstraße sei, der Ausbau der benachbarten Boppstraße aber werde den Bürgern in Rechnung gestellt. „Das hat alles nichts mehr mit einer verständlichen Gerechtigkeit zu tun“, kritisierte Schönig. Und schließlich werde der Unterhalt einer Straße von der Kommune bezahlt, nicht aber der Ausbau, erklärte der Wirtschaftsjournalist Gerhard Hohmann, der die Diskussion leitete, das aber führe immer wieder dazu, dass eine Kommune jahrelang den Zustand einer Straße nicht repariere. Dann werde sie ausgebaut, die Kosten auf die Bürger umgelegt, das führe zu Ärger.

Mainzer CDU fordert Abschaffung der Straßenausbaubeiträge

Die Mainzer CDU forderte deshalb jüngst im Stadtrat mit einer Resolution die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge und die Übernahme der Kosten durch das Land, die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP stimmte dagegen. Dabei ist die FDP selbst für die Abschaffung der Beiträge: „Kein Mensch versteht das System, kein Mensch blickt durch“, sagte der Mainzer FDP-Chef David Dietz, der Staat habe genug Steuereinnahmen, um die Kosten für die Kommunen zu übernehmen. Im Stadtrat stimmte die FDP trotzdem gegen die Resolution, man habe die Regierungskoalition nicht so kurz vor der Wahl „sprengen lassen wollen“, hieß es.

Auch die Umbauarbeiten in der Großen Langgasse werden auf die Hausbesitzer umgelegt. – Foto: gik

SPD und Grüne wiederum wehren sich landesweit seit Monaten vehement gegen eine Abschaffung. Die Umlage als wiederkehrende Beiträge verteile die Kosten auf viele Schultern, argumentierte der Landtagsabgeordnete Daniel Köbler (Grüne), das sei solidarisch und fair. „Ich kann das Ungerechtigkeitsempfinden nachempfinden“, sagte Köbler, in Mainz sei die Umlage aber pro Stadtgebiet geregelt, „deshalb haben sie das Ungerechtigkeitsempfinden hier nicht.“

Das System der Umlage „halten wir für ein sehr gerechtes Modell“, betonte auch der Mainzer SPD-Stadtrat Andreas Behringer, und warnte: „Die Alternative ist, dass wir weniger Geld für Straßenbau ausgeben.“ Wenn das Land die Kosten trage, werde „am Ende auch das Land entscheiden, welche Straßen ausgebaut werden“, behauptete Behringer, und musste zugleich einräumen: Nur mit Hilfe der Gelder von Bund und Land kann die Stadt Mainz derzeit Boppstraße, Große Langgasse und Mombacher Hauptstraße überhaupt ausbauen.

BdSt-Chef Brüderle: Bürger werden „abkassiert“

„Wir sind doch heute schon vom Land abhängig, die vorgegaukelte Freiheit gibt es gar nicht“, konterte Schönig daher: „Infrastruktur ist eine der Grundaufgaben des Staates und eine Gemeinwesenaufgabe.“ Landesweit würden etwa 50 Millionen Euro für kommunale Straßen veranschlagt, das seien gerade 0,5 Prozent des Landeshaushalts. Dazu kämen die Kosten für die Stadt durch das Eintreiben der Beiträge und die Klagen der Bürger – all das ließe sich durch eine Übernahme des Landes vermeiden.

Intensive Debatte über die Abschaffung der Ausbaubeiträge (von Links): Andreas Behringer (SPD, dagegen), Hannsgeorg Schönig (CDU, dafür), Moderator Gerhard Hohmann, Daniel Köbler (Grüne, dagegen), David Dietz (FDP, dafür). – Foto: gik

Tatsächlich verursachen bei der Stadt Mainz die wiederkehrenden Beiträge Kosten von 50.000 Euro pro Jahr, wie die Stadt auf Anfrage des Bundes der Steuerzahler mitteilte. Dem standen im Jahr 2017 aber nur etwa 135.000 Euro an Einnahmen gegenüber, 2016 waren es 164.000 Euro und 2015 rund 592.000 Euro.  Die Einnahmen werden für 2018 und in den Jahren danach deutlich steigen, weil die Stadt ab 2018 die großen Infrastrukturprojekte in der Innenstadt in Angriff nahm. Klagen gegen die wiederkehrenden Beiträge gab es deshalb in den früheren Jahren in Mainz bisher keine. In Koblenz hingegen kam es bei der Stadt allein 2017 zu insgesamt 50 Klagen gegen die Beiträge, 2018 waren es schon 59 Klagen.

„Eine Regelung, die man logisch nicht nachvollziehen kann, ist obsolet“, sagte deshalb der Chef des Bundes des Steuerzahler, der frühere Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Die Struktur der Straßenausbaubeiträge habe sich überlebt, Städte wie Wiesbaden und Frankfurt hätten sie bereits abgeschafft, ebenso sieben Bundesländer. Die Bürger würden bei den Umlagen nicht beteiligt, sondern einfach „abkassiert“, das reiche nicht mehr „in einer Zeit, in der die Bürger überzeugt werden wollen.“ Im Übrigen sei die SPD in anderen Bundesländern wie in Hessen durchaus für die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge, ebenso in Nordrhein-Westfalen, merkte Brüderle an. „Eine Regelung, bei der sich die Bürger zutiefst ungerecht behandelt fühlen – das ist keine Regelung“, kritisierte er: „Die sollten wir nicht beibehalten.“

Kommentar& auf Mainz&: Ein Verständnis von Solidarität, das weder gerecht noch solidarisch ist

Boah, hab ich ein Schwein. Obwohl Hausbesitzerin in Mainz, kenne ich Straßenausbaubeiträge bislang nur vom Hörensagen – gezahlt habe ich bislang nix. Wenn ich aber das nächste Mal meinen Schneider in der Boppstraße besuche oder den Biomarkt in der Großen Langgasse, muss ich dann eigentlich Eintritt zahlen? Oh gut – den Ausbau und die Verschönerung der Straße habe ja nicht ich bezahlt, sondern die Kollegen in der Neustadt oder Innenstadt. Danke sehr, liebe Hausbesitzer da unten!

Das Wirrwarr gilt nicht nur für Baustellen in Mainz – sondern auch für die Umlage der Straßenausbaubeiträge. – Karikatur: Bianca Wagner

Das Beispiel zeigt es doch schon: Die heutige Regelung der Straßenausbaubeiträge ist unsinnig, nicht nachvollziehbar und völlig ungerecht. Warum sollen nur Innenstadt-Hausbesitzer die Verschönerung der Großen Langgasse zahlen, die ganz Mainz nutzt? Flanieren sollen wir dort künftig, Einkaufen, die Stadt genießen – was ist das denn, bitteschön, wenn nicht eine originäre Aufgabe der Stadt? Will man partout solche Kosten umlegen, es müsste doch auf die ganze Stadt geschehen.

Doch schon jetzt kostet das Eintrieben der Kosten die Stadt rund 50.000 Euro pro Jahr. Dagegen geklagt wird nur deswegen nicht, weil die Umlage per Gesetz als Rechtens festgeschrieben ist, als richtig oder gar gerecht empfindet sie der Bürger mit Sicherheit nicht. Vollends absurd wird es schließlich, wenn eine Kaiserstraße bezahlt wird vom Land, die Boppstraße aber nicht – das ist nicht zu verstehen und nicht zu erklären.

Die Totalverweigerung der SPD beim Thema Abschaffung ist deshalb auch nicht zu verstehen. Denn es ist ja nicht nur die Mainzer SPD, auch auf Landesebene stemmt man sich vehement gegen die Übernahme durch das Land – warum eigentlich? Vielleicht sollte der FDP_Wirtschaftsminister, dessen Partei doch angeblich für die Abschaffung ist, mal ein paar teure Förderprogramme auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen, die 50 Millionen für die Straßen kämen da sicher sehr schnell zusammen. Und die SPD hat sich doch Solidarität und Gerechtigkeit auf die Fahnen und Wahlplakate geschrieben, muss aber einräumen: „Gerechtigkeit kann man verschieden interpretieren“ – so sagte es gerade Andreas Behringer. Was aber ist gerecht und solidarisch daran, wenn manche Mainzer zahlen müssen, andere aber nicht? Und die, die zahlen, doppelt zahlen – über unser aller Steuern. Klingt für mich eher wie „Ätschi“ und „Selbst schuld“…

Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema Straßenausbaubeiträge lest Ihr hier bei Mainz&, Informationen vom Bund der Steuerzahler gibt es dazu genau hier im Internet. Eine Konkretisierung zu den Kosten der Umlage für die Stadt Mainz findet Ihr hier bei Mainz&.

Inzwischen beschweren sich mehrere kleine Parteien aus dem Mainzer Stadtrat, sie seien zu der Diskussion nicht eingeladen gewesen – Beschwerden dazu bitte an den Bund der Steuerzahler 😉 Mainz& dokumentiert aber gerne die Haltung der weiteren Parteien zu dem Thema:

Freie Wähler: Straßenausbaubeiträge sind Abzocke – abschaffen!

Die Freien Wähler sind klar gegen die Straßenausbaubeiträge und haben eigenen Angaben zufolge bereits im August und September 2018 auf „die Misere“ aufmerksam gemacht. Man habe einen Antrag zur  Veränderung und Aktualisierung der Satzung über die Erhebung „wiederkehrende Beiträge für öffentliche Verkehrsanlagen“ in der Stadt Mainz in den Stadtrat eingebracht, dieser sei mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Das Abwälzen der Kosten auf wenige Grundstückseigentümer sei ungerecht, weil gleichzeitig alle Anwohner die Straßen benutzen, kritisiert Kurt Mehler von den Freien Wählern.

„In Mainz rühmt sich als Stadt mit tollen und sozialen Baumaßnahmen“, tatsächlich lasse sich die Stadt aber ihren Anteil großzügig von Land und Bund refinanzieren – und wälze 65 Prozent auf die Bürger ab, kritisiert Mehler: „Die Stadt kommt damit fast zum Nulltarif aus der Geschichte raus. Die Bürger werden mit 65 Prozent ordentlich zur Kasse gebeten und dürfen trotzdem an keiner Stelle der Maßnahme über deren Ausgestaltung mitreden.“ Auch überstiegen die Verwaltungskosten und die häufig folgenden Widersprüche teilweise die Beiträge. „In anderen Bundesländern wurden die wiederkehrenden Beiträge abgeschafft, in Mainz will man der Bevölkerung vorgaukeln, dass sie eine Pflichtabgabe der Bürger sind“, kritisiert Mehler: „Das ist eine Kann-Bestimmung!“

 

 

 

 

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