Das Verwaltungsgericht Mainz hat die sofortige Vollstreckung von Dieselfahrverboten in Mainz vorerst abgelehnt. Der Antrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) auf sofortige Umsetzung von Dieselfahrverboten sei unbegründet, teilte das Gericht am Mittwoch mit. Die Stadt Mainz sei im Oktober 2018 nämlich nur dazu verurteilt worden, ihren Luftreinhalteplan unter Aufnahme von Verkehrsverboten fortzuschreiben. Was die Umsetzung der Maßnahmen des Plans angehe, entfalte das Urteil aber keine Bindewirkung. Im Klartext: Einklagen könne die DUH auf der Grundlage des Urteils nur die Buchstaben des Luftreinhalteplans, nicht aber die Umsetzung der Fahrverbote selbst. Die Umwelthilfe widerspricht.

Stau auf der Mainzer Rheinallee - genau hier steigen die Stickoxidwerte wieder. - Foto: gik
Stau auf der Mainzer Rheinallee – genau hier steigen die Stickoxidwerte wieder. Konsequenzen hat das vorerst trotzdem nicht. – Foto: gik

Das Verwaltungsgericht Mainz hatte am 26. Oktober 2018 geurteilt, die Stadt Mainz müsse Dieselfahrverbote als effektive und schnell wirksame Maßnahme in ihren Luftreinhalteplan aufnehmen, zugleich aber auch geurteilt: Falls eine Senkung der als giftig geltenden Stickoxidwerte auf den Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nicht anders zu erreichen sei, müssten solche Verbote zum 1. September 2019 einbezogen werden. Richterin Stefanie Lang hatte damals sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch in ihrer schriftlichen Urteilsbegründung wiederholt betont, die Stadt Mainz müsse den Grenzwert von 40 Mikrogramm „schnellstmöglich“ einhalten – und nicht erst ab dem Jahr 2020 oder später.

Ein Luftreinhalteplan, dessen Maßnahmen dazu führten, dass „die Grenzwerte für Stickstoffdioxid erst ab den Jahren 2020 oder später eingehalten werden“, sei nicht geeignet, der Rechtssprechung zu genügen, heißt es in der Urteilsbegründung von 2018 explizit. Lang hatte deshalb auch keine Zweifel daran gelassen: Wenn es der Stadt Mainz nicht gelinge, den Stickoxidgrenzwert von 40 Mikrogramm im ersten Halbjahr 2019 einzuhalten, müssten Dieselfahrverbote ab dem, 1. September 2019 eingeführt werden.

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Der Stadt gelang es zwar, die Stickoxidwerte in der Mainzer Parcusstraße auf 42 Mikrogramm im Schnitt der ersten Jahreshälfte 2019 zu drücken, doch damit wird der Grenzwert weiter nicht eingehalten. Mehr noch: Weil die Stickoxidwerte in der Rheinallee im ersten Halbjahr auf 47 bis 49 Mikrogramm stiegen, hatte die Deutsche Umwelthilfe Anfang November beim Verwaltungsgericht Mainz einen Zwangsvollstreckungsantrag auf Umsetzung eines Dieselfahrverbots eingereicht.  „Wir fordern die Umsetzung von zonalen Diesel-Fahrverboten spätestens zum 1. Januar 2020, um die Menschen in Mainz und ihre Gesundheit zu schützen“, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch dazu.

Protestaktion der Deutschen Umwelthilfe vor der IAA in Frankfurt: Dieselabgase töten. - Foto: Maximilian Urschl, DUH
Protestaktion der Deutschen Umwelthilfe vor der IAA in Frankfurt: Dieselabgase töten. – Foto: Maximilian Urschl, DUH

Das Gericht lehnte den Vollstreckungsantrag nun aber mit der Begründung ab, ein Sofortvollzug des Fahrverbots sei aufgrund des Urteils vom Oktober 2018 nicht einklagbar: Die Umsetzung der Maßnahmen gehöre nicht zu den nicht tragenden und damit Rechtskraft entwickelnden Bestandteilen des Urteils vom Oktober 2018, erläuterte Gerichtssprecher Jens Milker auf Mainz&-Anfrage. Laut Verwaltungsgerichtsordnung sei nur die Fortschreibung des Luftreinhalteplans an sich vollstreckungsfähig – nicht die Umsetzung der Maßnahmen. Die Stadt habe ihren Luftreinhalteplan zum 1. April 2019 fortgeschrieben und sei somit dem Gerichtsurteil nachgekommen, die Umsetzung der Maßnahmen könne jetzt nicht auf dieser Grundlage vollstreckungsfähig eingeklagt werden.

Bei der Deutschen Umwelthilfe zeigte man sich irritiert von dieser Rechtsaufassung: Aus dem Urteil vom Oktober 2018 folge doch „nicht, dass die Umwelthilfe nur Anspruch auf ein Blatt Papier hat“, sagte DUH-Anwalt Remo Klinger auf Mainz&-Anfrage. Der Tenor des damaligen Urteils sei eindeutig gewesen, dass die Stadt Maßnahmen ergreifen müsse, die Stickoxidwerte einzuhalten – und diese Maßnahmen müssten so verbindlich und so unzweifelhaft sein, dass die Grenzwerte eingehalten würden. „Wenn das nur Eventuell-Maßnahmen sind, sind die ungeeignet, dann verstößt der Luftreinhalteplan aber gegen das Urteil aus 2018“, sagte Klinger: „Wir halten die heutige Entscheidung des Verwaltungsgerichts für falsch.“

DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch im Oktober 2018 vor dem Mainzer Verwaltungsgericht. - Foto: gik
DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch im Oktober 2018 vor dem Mainzer Verwaltungsgericht. – Foto: gik

Die Umwelthilfe werde deshalb Beschwerde gegen das heutige Urteil einlegen – und zusätzlich eine Planvollzugsklage einreichen. „Die Planvollzugsklage wird ab heute vorbereitet und noch vor Weihnachten eingereicht“, sagte Klinger Mainz&. Auch die dritte Klage der DUH vor dem Oberverwaltungsgericht Koblenz auf eine noch weiter gehende Fortschreibung des Luftreinhalteplans werde weiter verfolgt. Damit gebe es quasi drei Hütchen von Gerichtsverfahren, „es wird sich zeigen, unter welchem Hütchen das Fahrverbot drunter ist“, sagte Klinger weiter – sicher sei aber: „Unter einem der Hütchen steckt das Fahrverbot drunter.“

Gestützt wird die Haltung der DUH durch einen Satz aus der Urteilsbegründung vom Oktober 2018. Dort heißt es explizit: Ein „etwaiger teilweise rückläufiger Trend bei der Immissionsbelastung“ genüge nicht, wenn dieser Trend dazu führe, dass der Grenzwert weiter nicht eingehalten werde. „Erst mit Wahrung des Grenzwerts erfüllt der Luftreinhalteplan die gesetzlichen Anforderungen“, heißt es im Urteil. Eine Luftreinhalteplanung, die solche Maßnahmen enthalte, dass der Grenzwert „erst ab den Jahren 2020 oder später eingehalten“ werde, verstoße gegen die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – es seien Maßnahmen im Luftreinhalteplan vorzusehen, „die eine frühere Einhaltung der Grenzwerte herbeiführen.“

Kommentar& auf Mainz&: Ein Gericht, das sich nicht traut 

Man könnte das heutige Urteil des Mainzer Verwaltungsgerichts auch so interpretieren: Schreibt doch in Euren Luftreinhalteplan rein, was ihr wollt – umsetzen müsst Ihr es nicht. Ja, das Verwaltungsgericht widerspricht dem, und argumentiert: Nein, die Umsetzung sei nur nicht einklagbar durch einen Sofortvollzug, das sei das einzige, was man heute gesagt habe. Doch damit begibt sich das Gericht auf eine gefährliche spitzfindige Argumentation: Das Urteil beziehe sich nur auf den Luftreinhalteplan – nicht aber auf dessen Umsetzung.

Titelblatt des Luftreinhalteplans Mainz 2019. - Foto: gik
Titelblatt des Luftreinhalteplans Mainz 2019: Egal, was auf dem Papier steht? – Foto: gik

Ah ja. Und was ist mit der Urteilsbegründung, ist die auf einmal nicht mehr Teil des Kernurteils? Warum schreibt das Gericht dann explizit einen Satz, der Luftreinhalteplan sei nur gültig, wenn er auch zur Einhaltung der Grenzwerte führe – und zwar noch im Jahr 2019? Die Grenzwerte für Stickoxide werden in Mainz weiter nicht eingehalten, das ist Fakt. Das Gericht zuckt aber die Schultern und erklärt sich nur zuständig für die Buchstaben auf dem Papier – die Umsetzung, nö, das sei ja nicht Kern des Urteils gewesen.

Das aber heißt nichts anderes als: Papier ist geduldig – und der Luftreinhalteplan das Papier nicht Wert, auf dem er geschrieben wurde. Das aber ist fatal in einem Rechtsstaat, denn es macht beliebig, was Verwaltungen an Verordnungen aufstellen. Muss man sich also nicht dran halten, gell? Oder künftig jedes Komma einzeln einklagen? Wie verbindlich sind dann noch Rechtsverordnungen und auch Gerichtsentscheidungen selbst – ist die Umsetzung dessen, was da steht, zweitrangig, ja: obsolet? Hauptsache, es steht auf Papier?

Es drängt sich der Eindruck auf: Hier will jemand bloß nicht Schuld an einem Urteil sein, das ein Dieselfahrverbot für Mainz vorschreibt. Fakt ist: Das Gericht widerspricht seinem eigenen Urteil vom Oktober 2018 – und Richterin Stefanie Lang all dem, was sie in der mündlichen Verhandlung so explizit betont hat. Ein Gericht, das sich nicht traut, und für Entscheidungen nicht zuständig sein will, ist fatal für einen Rechtsstaat und verstärkt den Eindruck: Recht bekommen Bürger und Gesundheit ja ohnehin nie.

Info& auf Mainz&: Den Bericht zum Urteil 2018 findet Ihr hier auf Mainz&, den Artikel zu den Vollzugsklagen der DUH gibt es hier. Wer mehr lesen will, gebe bitte in die Suchmaske „Dieselfahrverbot“ ein, dann findet Ihr unser gesamtes Dossier samt aller Entwicklungen. Der Gerichtsbeschluss vom 3.12.2019 zum Sofortvollzug kann hier im Internet abgerufen werden.

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