Wenn heute in der MCV-Wagenhalle die Motivwagen für den Rosenmontagszug in Mainz vorgestellt werden, steht ein Mann bescheiden im Hintergrund: Dieter Wenger. Seit 55 Jahren baut der Mainzer nun schon die dreidimensionalen Karikaturen für die Mainzer Fastnacht, inzwischen ist der Mann eine Legende. 1962 baute er den ersten Motivwagen für den Mainzer Carneval-Verein (MCV), seit 30 Jahren ist er der Hauptverantwortliche für die großen Figuren aus Styropor und Stahl. „Damals haben wir noch in Zelten gearbeitet, ohne Heizung“, berichtet Wenger schmunzelnd. Wie lange er das noch machen will? „Bis ich umfalle“, sagt Wenger. Gerade wurde der Wagenbauer 77 Jahre alt – zum doppelten närrischen Jubiläum hat Mainz& den Altmeister besucht.

Porträt Wagenbauer Wenger vor der Halle
Wagenbauer Dieter Wenger baut seit 55 Jahren die Motivwagen des MCV – und wurde gerade 77 Jahre alt. Wir trafen ihn vor der Wagenhalle in Mombach. – Foto: gik

George Bush, Barrack Obama, Erdogan, Angela Merkel, Helmut Kohl oder der Papst – „ich hatte sie alle“, sagt Dieter Wenger. Jedes Jahr ab Oktober verbringt Wenger seine Tage in einer einfachen Halle im Gewerbegebiet von Mainz-Mombach. In rund 9.000 Stunden Arbeit entstehen hier die rollenden dreidimensionalen Karikaturen, mit denen die Mainzer Narren die Politik aufs Korn nehmen. Sobald der MCV die Motive für die jeweilige Kampagne fest gelegt hat, baut Wenger die Wagen nach dem Vorbild gezeichneter Karikaturen.

 

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Die Liebe zum Schnitzen und dreidimensionalen Gestalten, sie wurde dem gebürtigen Mainzer in die Wiege gelegt. Der Opa war Bildhauer, schlug sich nach dem Krieg als Aushilfe bei einem Geigenbauer am Südbahnhof durch, reparierte Instrumente und schnitzte auch die Köpfe der Geigen. „Mich nahm er auf den Schoß, wenn er Puppenknöpfe schnitzte“, erinnert sich Wenger, „da hatte ich auch schon mal ein Schnitzmesser in der Hand…“

Es wurde eine Liebe fürs Leben: der Bruder einer Lehrerin hatte die Mainzer Puppenspielbühne, schon als Schüler baute Wenger Kulissen für das winzige Theater. Später fertigte er ein Bühnenbild für „Das Podest“ im Institut Francais für das Stück „Wundersame Schustersfrau“ von Garcia Lorca. Das Stück fiel durch, aber Wengers Bühnenbild heimste Lob ein, 19 Jahre war er da gerade alt. „Da bin ich geschwebt“, erinnert sich Wenger schmunzelnd.

Wagenbauer Dieter Wenger beim Interview
Wagenbauer Wenger 2016 beim Interview in der MCV-Wagenhalle vor dem Motivwagen zur Schiersteiner Brücke – mit Hund im Hintergrund… – Foto: gik

 

Über 50 Bühnenbilder baute er in der Zeit danach für Theater von Mainz bis Heidelberg, alles neben der Arbeitszeit. 1961 wurde Wenger Chefdekorateur beim Kaufhof in Speyer, dort lernte er Bernhard Vogel (CDU) kennen, den späteren Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz. Vogel machte Wenger zum Landesgeschäftsführer der Deutschen Verkehrswacht. „Die Aktion ‚Gib acht, Schulanfänger‘, die ist von mir“, erzählt Wenger.

Über Dekorateurskollegen kam Wenger zu den Wagenbauern des MCV, „der alte Fritz“ sei damals Zugmarschall gewesen, erinnert sich Wenger. Der sagte zu ihm: „Hast Du Ideen? Dann zeig mal her“ – Wenger hatte. Ausgerechnet die Milchpreiskrise war sein erster Motivwagen, 1962, das Thema kam vor sechs Jahren wieder. 1963 baute Wenger schon drei Wagen, seit 30 Jahren baut er sie alle. 35 Mitarbeiter hat Wenger heute, in dieser Kampagne stemmt das Team den Bau von 20 Wagen. Da wird gebastelt, werden Köpfe recycelt und Elemente neu angestrichen, notfalls wird auch improvisiert – so wie damals bei der quietschgelben Zugente, die immer das Zugende markiert. „Da steckt der alte Käfer meiner Sekretärin drunter“, erinnert sich Wenger.

Die Pegida-Hexe reitet auf dem braunen Mob - Foto: gik
Einer der stärksten Motivwagen Wengers, der gleichwohl nie durch Mainz rollte (wegen der Sturmwarnung): Die Pegida-Hexe auf dem braunen Mob 2016. – Foto: gik

Sind die närrischen Motive im Laufe der Jahre zahmer geworden? „Im Gegenteil“, sagt Wenger, und erinnert an die Nonne im Nacktscanner oder die Motivwagen zu diversen Päpsten. Vergangenes Jahr baute er die Pegida-Hexe und CDU-Chefin Julia Klöckner auf der Flucht vor lauter kleinen Burka-Mäusen. Den gierigen Limburger Bischof Tebartz van Elst realisierte Wenger in einer großen goldenen Badewanne, und Malu Dreyer schickte er den Fluch des „Kari-Beck“ hinterher. Und an der Schiersteiner Brücke hob 2016 ein kleiner Hund mit Narrenkappe sein Bein… der liebevolle kleine Running Gag, den Wenger jedes Jahr wieder irgendwo einbaut.

700 Blöcke Styropor gehen pro Kampagne drauf, die typische Mainzer Bauform ist Wengers Erfindung: Die Styroporblöcke sind mit Eisenstangen verstärkt, die Motive mit wetterfester Farbe lackiert. Das unterscheide die Mainzer Wagen von denen in Köln und Düsseldorf, erzählt Wenger gerne und mit Stolz, dort würden die Motive bei Sturm schon mal völlig zerlegt, „während unsere genauso wieder rein in die Halle kommen, wie sie rausgerollt sind.“ Wenn noch Zeit ist, versieht Wenger, der Tüftler, die Wagen gerne noch mit kleinen Zusatzeffekten: mal quillt echter Rauch hervor, oder die Tür zum „Wohnklo“ zieren dicke Spinnweben.

Doch meist wird bis zur letzten Sekunde am Rosenmontag an den Wagen gearbeitet. „Wenn ich keine Nerven wie Drahtseile hätte, würde ich das hier nicht durchhalten“, sagt Wenger, „wir malen hinten noch die Konfetti-Tupfer drauf, wenn die ersten vorne schon rausrollen.“

Info& auf Mainz&: Mehr Motivwagen von Dieter Wenger findet Ihr im Mainz&-Artikel über die Motivwagen 2016, über Flinten-Uschi und Beck-Fluch 2015 und über Tebartz-van-Elst, NSA und Snowden 2014. Die Motivwagen 2017 gibt’s heute Nachmittag oder Abend – nach der Vorstellung durch den MCV.

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