Mitten in der tobenden Debatte um eine Zusammenarbeit von CDU und FDP in Thüringen mit der rechtsextremen AfD kommt eine Frau ins Mainzer KUZ, die dazu Stellung nehmen kann wie niemand sonst: Esther Bejarano spielte im Mädchenorchester von Auschwitz und überlebte die Konzentrationslager von Auschwitz und Ravensbrück. Die gebürtige Saarländerin ist heute 95 Jahre alt, doch sie spricht und singt noch immer – dagegen, dass wieder geschehen kann, was sie selbst erleben und erleiden musste: Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung von Andersdenkenden und Andersglaubenden, Terror, Tod und das Ende von Demokratie und Meinungsfreiheit.

Esther Bejarano im Jahr 2018. - Foto: Sven Teschke via Wikipedia
Esther Bejarano im Jahr 2018. – Foto: Sven Teschke via Wikipedia

Am morgigen Dienstag, den 11. Februar 2020, erzählt Esther Bejanaro live im Mainzer KUZ von ihrem Leben und steht gemeinsam mit der Band Microphone Mafia auf der Bühne. „Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit“, sagte Bejanaro einmal, „aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt.“

Esther Bejanaroi wurde 1924 in Saarlouis als Esther Loewy geboren, ihr Vater war jüdischer Kantor, erst in Saarbrücken, später in Ulm. Nach der Reichskristallnacht 1938 planten die Eltern eigentlich die Ausreise der Familie, doch mangelndes Geld und Visa im Ausland, und schließlich der Kriegsbeginn 1941 verhinderten die Flucht. Esthers Eltern wurden im November 1941 von Nationalsozialisten ermordet – nackt, im Wald, erschossen mit anderen. Ihre Schwester wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Esther selbst überlebte nur wegen ihrer Musikalität: In Auschwitz meldete sie sich zum Mädchenorchester und spielte Akkordeon, obwohl sie das gar nicht konnte. Das Orchester musste zum täglichen Marsch der Arbeitskolonnen durch das Lagertor spielen – und später auch bei Selektionen von Juden und anderen Verfolgten zu den Gaskammern an den Rampen der ankommenden Eisenbahnwaggons.

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1943 kam Esther Loewy ins KZ Ravensbrück, als die Alliierten immer näher rückten, wurde auch sie auf sogenannte Todesmärsche geschickt – weg von der Front, hin zu immer neuen Lagern. Am 3. Mai 1945 erlebte sie in Lübz die Befreiung durch US-amerikanische Truppen, nach dem Krieg wanderte sie nach Israel aus, wo sie heiratete, zwei Kinder bekam und den Namen Bejanaro annahm. 1960 kehrte sie mit ihrer Familie nach Deutschland zurück und leitete in Hamburg unter anderem eine Wäscherei und eine Diskothek, bevor sie eine eigene Boutique eröffnete – wie Wikipedia erzählt.

Bejanaro war immer eine politische Frau, sie schloss sich der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten an, der 1947 von Überlebenden der Konzentrationslager und NS-Verfolgten gegründet wurde, und deren Ehrenvorsitzende sie 2008 wurde. Als der Vereinigung im November 2019 die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, schrieb Bejanaro sehr empört einen offenen Brief an Finanzminister Olaf Scholz (SPD): „Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus, wollen der größten und ältesten antifaschistischen Vereinigung im Land die Arbeit unmöglich machen?“, schimpfte Bejanaro: „Wir Überlebende der Shoah sind die unbequemen Mahner, aber wir haben unsere Hoffnung auf eine bessere und friedliche Welt nicht verloren. Dafür brauchen wir und die vielen, die denken wie wir, Hilfe! Wir brauchen Organisationen, die diese Arbeit unterstützen und koordinieren.“

Esther Bejarano & Microphone Mafia 2015. - Foto: jwh via Wikipedia
Esther Bejarano & Microphone Mafia 2015. – Foto: jwh via Wikipedia

Sie habe sich nie vorstellen können, „dass die Gemeinnützigkeit unserer Arbeit angezweifelt oder uns abgesprochen werden könnte“, schreibt Bejanaro weiter: „Was kann gemeinnütziger sein als diesen Kampf zu führen? Entscheidet hierzulande tatsächlich eine Steuerbehörde über die Existenzmöglichkeit einer Vereinigung von Überlebenden der Naziverbrechen?“ Sie fordere Scholz auf, „alles zu tun, um diese unsägliche, ungerechte Entscheidung der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Arbeit der VVN–BdA rückgängig zu machen“, denn: „Wir Überlebenden haben einen Auftrag zu erfüllen, der uns von den Millionen in den Konzentrationslagern und NS-Gefängnissen Ermordeten und Gequälten erteilt wurde. Dabei helfen uns viele Freundinnen und Freunde, die Antifaschistinnen und Antifaschisten – aus Liebe zur Menschheit!“ Mehr zu dem Vorgang lest Ihr auch hier in diesem Spiegel-Artikel.

In den 1980ern begann Bejanaro zudem, wieder als Musikerin auf der Bühne zu stehen. Im September 1982 stand sie als eine der zweihundert Künstler für den Frieden im Ruhrstadion auf, unter anderem gemeinsam mit Harry Belafonte. 1986 gründete Esther Bejarano das Auschwitz-Komitee für die Bundesrepublik Deutschland, das Bildungsreisen in Konzentrationslager, Zeitzeugengespräche in Schulen und Veranstaltungen gegen das Vergessen organisiert. Bis heute erzählt Bejanaro in Schulen von den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, der menschenverachtenden Ideologie, dem Töten und dem Überleben – sie wird es auch heute in Mainz wieder tun.

Dazu wird Bejanaro gemeinsam mit der Hip-Hop-Band Microphone Mafia musizieren, 2012 nahm man ein gemeinsames Album Per La Vita (Für das Leben) auf, an dem sich auch Bejanaros Kinder Edna und Jorem Bejarano beteiligten. Innerhalb von nur drei Jahren spielte die Band mehr als 170 Konzerte. Klar ist damit: Es wird ein ausgesprochen berührender Abend werden. Wegen der hohen Nachfrage im Vorfeld verlegte das KUZ das Konzert in die Werkhalle, so dass es noch Karten gibt. Hingehen!

Info& auf Mainz&: Esther Bejarano & Microphone Mafia am Dienstag, 11. Februar 2020 im Mainzer Kulturzentrum KUZ, Beginn ist um 19.05 Uhr. Der Abend wird veranstaltet in Kooperation zwischen dem Fanprojekt Mainz und dem KUZ, Infos dazu findet Ihr hier im Internet. Die Geschichte von Esther Bejanaro könnt Ihr hier bei Wikipedia nachlesen, ihren offenen Brief an Olaf Scholz genau hier – und in diesem Spiegel-Artikel stehen spannende Hintergründe dazu.

 

 

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